Leitsatz

1. Ein Erstattungsüberhang i.S. des § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG erfordert lediglich ein "Übersteigen" der erstatteten Aufwendungen über die im Erstattungsjahr geleisteten Aufwendungen, die auch 0 € betragen können. Ein Kirchensteuer-Erstattungsüberhang liegt damit auch dann vor, wenn der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum der Kirchensteuererstattung keine Kirchensteuer gezahlt hat.

2. Die Hinzurechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG findet auch statt, wenn sich die erstattete Zahlung im Zahlungsjahr nicht steuermindernd ausgewirkt hat (Anschluss an BFH-Urteil vom 20.11.2019 – XI R 46/17, BFHE 266, 241, BStBl II 2020, 195, Rz 36).

 

Normenkette

§ 10 Abs. 4b Sätze 2 und 3, Abs. 1 Nr. 4 EStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger verkaufte im Jahr 2009 Anteile an einer GmbH. Im Hinblick auf den erzielten Veräußerungsgewinn leistete er in diesem Jahr KiSt-Vorauszahlungen. 2011 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag. Die im Streitjahr 2012 erfolgte ESt-Veranlagung für 2009 führte zur vollständigen Erstattung der KiSt im Jahr 2012. Da der Kläger in diesem Jahr auch keine KiSt zahlte, sah das FA die KiSt-Erstattung als Erstattungsüberhang i.S.d. § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG an, den es dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzurechnete. Hiergegen wandte sich der Kläger mit der Begründung, ein Erstattungsüberhang setze zwingend eine vorherige Verrechnung mit einer tatsächlich erfolgten KiSt-Zahlung voraus; eine solche habe er im Jahr 2012 nicht geleistet. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde vom FG abgewiesen (FG Düsseldorf, Urteil vom 5.12.2019, 14 K 3341/15 E, Haufe-Index 13729433, EFG 2020, 352).

 

Entscheidung

Die Revision des Klägers hatte aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen keinen Erfolg.

 

Hinweis

1. Die steuerliche Behandlung der in späteren VZ erstatteten Sonderausgaben, insbesondere von erstatteter KiSt, hat jahrzehntelang der Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen verfahrensrechtliche Probleme bereitet. Nach der ständigen BFH-Rechtsprechung war bis 2011 die ESt-Veranlagung des Zahlungsjahrs der erstatteten KiSt nachträglich durch eine entsprechende Kürzung des Sonderausgabenabzugs zu ändern, wenn im Erstattungsjahr die gezahlten KiSt niedriger als die erstatteten waren und sich dadurch ein sog. Erstattungsüberhang ergab.

2. Um diese aufwendige Rückabwicklung der Steuerfestsetzungen der Vorjahre zu vermeiden und das Steuerverfahren zu vereinfachen, hat das Steuervereinfachungsgesetz 2011 für ab 2012 zugeflossene Erstattungszahlungen geregelt, dass ein KiSt-Erstattungsüberhang dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen ist (§ 10 Abs. 4b Satz 3 EStG).

3. Ein Erstattungsüberhang liegt bei der KiSt vor, wenn die im VZ erstatteten Aufwendungen die geleisteten Aufwendungen übersteigen (vgl. § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG). Keine Voraussetzung ist, dass der Steuerpflichtige im VZ der KiSt-Erstattung zugleich eine KiSt-Zahlung erbracht hat. Ein "Erstattungsüberhang" i.S. dieser Vorschrift kann daher auch vorliegen, wenn im Erstattungsjahr überhaupt keine KiSt gezahlt worden ist.

4. Eine andere Sichtweise würde zu einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten sinnwidrigen Ergebnis führen. Es wäre mit dem Vereinfachungszweck des Gesetzes nicht zu vereinbaren, die KiSt-Erstattung in den Jahren, in denen keine KiSt gezahlt wurde, durch rückwirkende Änderung der Steuerfestsetzung des Abflussjahres zu erfassen, während bei einer KiSt-Zahlung in nur geringfügiger Höhe der Erstattungsüberhang ohne Weiteres nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzugerechnet werden müsste. Damit wären Differenzierungen erforderlich, die wegen der vom Gesetzesgeber bezweckten Verwaltungsvereinfachung nicht zu rechtfertigen wären.

5. Zudem bestätigt der BFH in diesem Urteil die Rechtsprechung des IX. Senat (BFH, Urteil vom 20.11.2019, XI R 46/17, BFH/NV 2020, 429, BStBl II 2020, 195), wonach die Hinzurechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG auch stattfindet, wenn sich die erstattete Zahlung im Zahlungsjahr nicht steuermindernd ausgewirkt hat.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 29.6.2022 – X R 1/20

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