Leitsatz

1. Wird ein Unternehmen im ganzen übereignet, haftet der Erwerber für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet, und für Steuerabzugsbeträge, vorausgesetzt, daß die Steuern seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahrs entstanden sind und bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebs durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet werden (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 1 AO).

2. Eine → Haftung des Betriebsübernehmers tritt nicht ein, wenn er den Betrieb aus einer Konkursmasse ( → Konkurs ), aus dem Vermögen eines Vergleichsschuldners, das auf Grund eines Vergleichsvorschlages nach § 7 Abs. 4 der Vergleichsordnung verwertet wird, oder im Vollstreckungsverfahren ( → Vollstreckung ) erwirbt (§ 75 Abs. 2 AO). Von der Haftung wird der Betriebsübernehmer auch dann freigestellt, wenn der Erwerb des Unternehmens von einem Sequester im Einvernehmen mit dem Konkursgericht erfolgt und sich die Eröffnung des Konkursverfahrens an die Sequestration anschließt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 23.07.1998, VII R 143/97

Anmerkung:

Ein Unternehmer, der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, hatte die Eröffnung des Konkursverfahrens beantragt, worauf das Konkursgericht auf der Grundlage des § 106 KO einen Sequester bestellte. Dieser veräußerte den Betrieb im Einvernehmen mit dem Konkursgericht. Einige Tage später wurde das Konkursverfahren eröffnet und der Sequester zum Konkursverwalter bestellt.

Der Streit ging um die Frage, ob das FA den Erwerber des Betriebs für die von dem früheren Unternehmer geschuldete Umsatzsteuer in Anspruch nehmen kann. Der BFH hat dies zu Recht verneint.

Eine Haftung des Betriebserwerbers für betriebsbedingte Steuerschulden des bisherigen Betriebsinhabers – wie z. B. die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer – ist zwar in § 75 Abs. 1 AO ausdrücklich für den Fall vorgesehen, daß ein Unternehmen „im ganzen übereignet” wird. Eine solche – die Übertragung aller wesentlichen Grundlagen des Betriebs auf den Erwerber voraussetzende – „Übereignung” hat im Streitfall auch stattgefunden. Dennoch brauchte der Betriebsübernehmer nicht für die Steuerschulden des bisherigen Betriebsinhabers einstehen, weil er sich mit Erfolg auf eine gesetzliche Freistellung von der Haftung berufen konnte.

Aus diesem Grund hat der BFH – über die wörtliche Auslegung des § 75 Abs. 2 AO hinausgehend – zu Recht entschieden, daß bei einem unmittelbaren zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang zwischen Sequestration, Unternehmensveräußerung und Konkurseröffnung ein Haftungsausschluß nach § 75 Abs. 2 AO gegeben sein kann. Ein solcher Zusammenhang war hier zu bejahen, weil der Verkauf des Betriebs durch den Sequester im Einvernehmen mit dem Konkursgericht erfolgte und kurz nach dem Verkauf die Eröffnung des Konkursverfahrens beschlossen wurde.

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