Leitsatz

Bei einem steuerlich nicht vertretenen Rechtslaien verlangt der Grundsatz einer rechtsbehelfsführerfreundlichen Auslegung bestimmender Schriftsätze, dass die Behörde durch vorherige eindeutige und klare Rückfrage nach dem tatsächlichen angestrebten Rechtsbehelf des Steuerpflichtigen nachfragt.

 

Sachverhalt

Der Kläger und seine Ehefrau wurden durch das Finanzamt zur Vermögenssteuer veranlagt. Auf den Einspruch des Klägers erließ das Finanzamt einen Änderungsbescheid, in dem die Vermögensteuer herabgesetzt wurde (Teilstattgabe wegen eines Additionsfehlers). Die weiteren Rügen des Klägers berücksichtigte das Finanzamt nicht, weswegen der Kläger insoweit seinen Einspruch aufrechterhielt. Das Finanzamt erließ eine entsprechende Einspruchsentscheidung mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung. Innerhalb der Rechtsbehelfsfrist legte der Kläger gegen die vorgenannte Einspruchsentscheidung "Einspruch" ein. Nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist äußerte sich das Finanzamt in einem Schreiben an den Kläger in materiell-rechtlicher Hinsicht und fragte beim Kläger im übrigen an, ob er sein Schreiben als Einspruch behandelt wissen wolle, woraufhin der Kläger um einen "rechtsmittelfähigen" Bescheid betreffend Vermögensteuer bat. Das Finanzamt verwarf sodann den erneuten Einspruch des Klägers als unzulässig, weil das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren durch die bereits ergangene Einspruchsentscheidung beendet worden sei. Hiergegen richtete sich die Klage, mit der der Kläger beantragte, die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Er habe immer noch keinen rechtsmittelfähigen Bescheid zu seinen bereits im ersten Einspruch erhobenen Einwendungen bezüglich der weiteren Rügen erhalten. Das Finanzamt habe sich bislang lediglich formlos geäußert.

 

Entscheidung

Das Finanzgericht gab der Klage statt, weil das Finanzamt aufgrund des erneuten Einspruchs gegen die Einspruchsentscheidung verpflichtet gewesen sei, beim Kläger nachzufragen, ob der Kläger trotz der fehlerhaften Bezeichnung seines Rechtsbehelfs als "Einspruch" tatsächlich in Wahrheit nicht Klage zum Finanzgericht erheben wollte. Die vom Kläger nach dem Inhalt seiner Rechtsbehelfsschrift zweifelsfrei erstrebte sachlich-rechtliche Überprüfung der Einspruchsentscheidung sei verfahrensrechtlich nicht mehr vor dem Finanzamt, sondern nur noch vor dem Finanzgericht möglich gewesen. Das Finanzamt sei verpflichtet gewesen, beim Kläger rückzufragen. Auch ein gegen eine Einspruchsentscheidung nochmals an das Finanzamt gerichtetes Rechtsbehelfsschreiben könne als eine beim Finanzamt angebrachte Klage (§ 47 Abs. 2 FGO) behandelt werden. Dies sei unabhängig davon, ob darin das Finanzgericht direkt angesprochen oder ob einer solchen Schrift unmittelbar oder mittelbar das Begehren nach einer gerichtliche Überprüfung der Einspruchsentscheidung zu entnehmen sei.

Die Einspruchsentscheidung sei damit zu unrecht ergangen und müsse aufgehoben werden. Das Einspruchschreiben des Klägers gegen die Einspruchsentscheidung sei als beim Finanzamt angebrachte Klage (§ 47 Abs. 2 FGO) dem Gericht vorzulegen.

 

Hinweis

Im vorliegenden Fall ging der Kläger wohl davon aus, daß er eine weitere Überprüfung seiner Argumente noch beim Finanzamt durch Fortführung des Einspruchsverfahrens erreichen könne. In diesem Irrglauben wurde der Kläger durch die irreführende Anfrage des Finanzamts bestätigt. Es ging also nicht nur darum, den Rechtsbehelf auszulegen, sondern darüber hinaus auch darauf hinzuwirken, daß überhaupt der richtige Rechtsbehelf gewählt wird. Dass bestehende Unklarheiten durch Rückfrage beim Steuerpflichtigen zu beseitigen sind, hat die Rechtsprechung in Einzelfällen immer wieder angenommen (BFH, Urteil v. 11.9.1986, IV R 11/83, BStBl II 1987, 5.). Unterbleibt eine solche Nachfrage, wird unterstellt, daß der Rechtsbehelfsführer bei einer entsprechenden Nachfrage eine solche Erklärung abgegeben hätte, daß der Rechtsbehelf im Endeffekt zulässig ist.

 

Link zur Entscheidung

FG des Saarlandes, Gerichtsbescheid vom 14.04.2003, 1 K 162/00

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