Leitsatz

Auch bei der Gestellung einheitlicher, während der Arbeitszeit zu tragender bürgerlicher Kleidungsstücke kann das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers im Vordergrund stehen bzw. ein geldwerter Vorteil des Arbeitnehmers zu verneinen sein.

 

Normenkette

§ 19 Abs. 1 Satz 1 EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist im Bereich des Lebensmittel-Einzelhandels tätig. Sie nutzt zusammen mit zwei weiteren Konzern-Gesellschaften, die Fleisch- und Wurstwaren bzw. Backwaren vertreiben, die Ladenlokale gemeinsam.

Anlässlich einer LSt-Außenprüfung wurde festgestellt, dass die Klägerin aufgrund von Betriebsvereinbarungen "bürgerliche" Kleidungsstücke angeschafft und diese den Mitarbeitern kostenlos überlassen hatte. Das FA beurteilte die Kleidungsstücke zum Teil als typische Berufskleidung, zum Teil jedoch nicht, weil die Stücke weder als Arbeitsschutzkleidung zu werten seien noch durch ein dauerhaft angebrachtes Firmenemblem objektiv eine berufliche Funktion erfüllten.

Das FA behandelte die Gestellung der Kleidungsstücke als Arbeitslohn und forderte pauschalierte LSt (§ 40 Abs. 1 EStG) nach. Das FG gab der Klage statt.

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte die Vorentscheidung. Das FG sei unter zutreffender Berücksichtigung der den Streitfall prägenden Gesamtumstände in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Wertung gelangt, die Gestellung der Kleidungsstücke sei in erster Linie durch das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers veranlasst; der geldwerte Vorteil für die Arbeitnehmer sei gering bzw. zu vernachlässigen.

 

Hinweis

1. Steuerpflichtiger Arbeitslohn ist dadurch gekennzeichnet, dass dem Arbeitnehmer Einnahmen (Bezüge oder geldwerte Vorteile) zufließen, die "für" seine Arbeitsleistung gewährt werden (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Dagegen sind Vorteile, die aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse gewährt werden, kein Arbeitslohn. Derartige (nichtsteuerbare) Zuwendungen sind zwar durch den Betrieb, aber nicht durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst und stellen folglich keine Gegenleistung für die Dienste des Arbeitnehmers dar.

2. Ob Arbeitslohn oder ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse vorliegt, kann nur anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Falls beurteilt werden. Diese Würdigung ist in erster Linie vom FG als Tatsacheninstanz vorzunehmen. Die Gesamtwürdigung hat insbesondere Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seine besondere Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck zu berücksichtigen.

3. Die Besprechungsentscheidung stellt in gewisser Weise das Gegenstück zur Entscheidung des BFH vom 11.4.2006, VI R 60/02, BFH-PR 2006, 383 dar. Dort hatte ein Unternehmen, das hochwertige Bekleidungsartikel unter einer "Edelmarke" vertreibt, den Mitgliedern der Geschäftsleitung und deren Ehefrauen jährlich ein Kontingent der jeweils neuesten Kollektion zur Verfügung gestellt. Dort war vor allem von Belang gewesen, dass sich der dem Arbeitnehmer zugewandte Vorteil als außergewöhnlich hoch erwies.

Demgegenüber fiel in der Besprechungsentscheidung die Gesamtwürdigung der Umstände anders aus. Entscheidend fiel ins Gewicht, dass den Mitarbeitern keine Individualbekleidung entsprechend deren speziellen Wünschen zur Verfügung gestellt wurde. Die Mitarbeiter erhielten vielmehr eine Gemeinschaftsausstattung, die aufgrund ihrer Standardisierung den individuellen Neigungen der Mitarbeiter ohnehin nur beschränkt zugänglich gewesen ist. Die Gestellung der Kleidungsstücke erfolgte, um ein einheitliches Erscheinungsbild aller Mitarbeiter zu gewährleisten. Sowohl nach innen im Sinn eines Zusammengehörigkeitsgefühls und der Kollegialität innerhalb der Belegschaft als auch nach außen gegenüber der Öffentlichkeit (Kunden, Lieferanten, Geschäftspartner) sollte das Erscheinungsbild des Unternehmens (sog. "corporate identity") verbessert und auch hygienischen Gesichtspunkten Rechnung getragen werden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 22.6.2006, VI R 21/05

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