4.6.1 Grundsätzliches

 

Rz. 123

Nach § 42 Abs. 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Eine Umgehung i. S. d. § 42 Abs. 1 Satz 1 AO ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die – gemessen an dem erstrebten Ziel – unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist.[1] Dem Steuerpflichtigen ist es dabei grundsätzlich nicht verwehrt, seine rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine möglichst geringe steuerliche Belastung ergibt. Die vom Steuerpflichtigen gewählte Rechtsgestaltung ist der Besteuerung jedoch dann nicht zugrunde zu legen, wenn sie ausschließlich der Steuerminderung dient und bei sinnvoller, Zweck und Ziel der Rechtsordnung berücksichtigender Auslegung des Gesetzes missbilligt wird. Die Unangemessenheit einer Rechtsgestaltung tritt insbesondere zutage, wenn diese keinem wirtschaftlichen Zweck dient.[2]

 

Rz. 124

Die Wahl eines vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres bzw. die Umstellung auf ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr kann in bestimmten Grenzen als steuerliches Gestaltungsinstrument dienen, sodass die Festlegung und die Umstellung des Wirtschaftsjahres unter dem Vorbehalt des Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO stehen.[3] Gestaltungsmissbrauch kann z. B. im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer Steuerpause in Betracht kommen, zur Umgehung der Verlustvortragsbeschränkung aus § 10d Abs. 2 EStG, im Zuge der Bildung von Rumpfwirtschaftsjahren oder auch um die Folgen einer vorteilhaften Steuerrechtsänderung früher bzw. die einer nachteiligen Steuerrechtsänderung später herbeizuführen.

4.6.2 Steuerpause

 

Rz. 125

Da es bei der Umstellung des Wirtschaftsjahres bei Gewerbetreibenden zu einer Steuerpause und damit einhergehend zu einem Steuerstundungseffekt kommen kann, verlangt der Gesetzgeber – damit die Umstellung nicht allein aus steuerlichen Gründen erfolgt – in § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG bei der Umstellung des Wirtschaftsjahres die Zustimmung des Finanzamts, sodass dieses Einvernehmenserfordernis insoweit als Missbrauchskontrolle dient.[1] Zwar wird § 42 AO durch das Zustimmungserfordernis aus § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 EStG nicht verdrängt, jedoch liegen die Voraussetzungen des § 42 AO i. d. R. nicht vor, wenn das Finanzamt der Umstellung zugestimmt hat; eine spätere Betrachtung als rechtsmissbräuchlich würde dem Grundsatz von Treu und Glauben zuwiderlaufen.[2] Liegt eine missbräuchliche Gestaltung vor, wird das Finanzamt die Zustimmung verweigern. Bei Land- und Forstwirten ist das Entstehen einer Steuerpause infolge der Umstellung des Wirtschaftsjahres nicht denkbar, weshalb der Gesetzgeber auch auf einen entsprechenden Zustimmungsvorbehalt in § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG verzichtet hat.[3]

 

Rz. 126

Grundsätzlich steht es dem Steuerpflichtigen frei, zu welchem Zeitpunkt er sein Wirtschaftsjahr erstmals beginnen lässt. Da aber auch die erstmalige Festlegung des Wirtschaftsjahres zu einer Steuerpause führen kann, ist auch dies im Hinblick auf Gestaltungsmissbrauch an § 42 AO zu messen.

 

Rz. 127

Die Festlegung des Wirtschaftsjahres durch Ausübung des Wahlrechts stellt an sich keinen Gestaltungsmissbrauch dar, und zwar auch dann nicht, wenn die Festlegung allein auf steuerlichen Gründen beruht.[4] Dies stützt sich auf den Umstand, dass der Gesetzgeber das Problem des Gestaltungsmissbrauchs erkannt hat und für den Fall der Umstellung des Wirtschaftsjahres bei Gewerbetreibenden die Zustimmung des Finanzamts fordert, ein entsprechendes Erfordernis bei der erstmaligen Festlegung des Wirtschaftsjahres jedoch nicht verlangt; damit nimmt der Gesetzgeber das Gestaltungspotenzial in diesen Fällen in Kauf, womit ein Gestaltungsmissbrauch bei der Wahl des Wirtschaftsjahres regelmäßig nicht anzunehmen ist.[5]

 

Rz. 128

Gleichwohl gewährt § 4a EStG dem Steuerpflichtigen kein uneingeschränktes Wahlrecht, sodass § 42 AO in besonderen Ausnahmefällen – bei unangemessenen Gestaltungen, die ausschließlich der Steuerminderung dienen und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht gerechtfertigt werden können – zum Tragen kommt;[6] dabei steht der Steuerminderung das Hinausschieben der Entstehung eines Steueranspruchs gleich.[7] Obwohl der Gesetzgeber das Gestaltungspotenzial bei der Wahl des Wirtschaftsjahres grundsätzlich hinnimmt, liegt demnach ein Gestaltungsmissbrauch vor, wenn der Steuerpflichtige die Steuerpause durch Gestaltung verlängert, ohne dass hi...

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