Rz. 23

§ 62 Abs. 2 EStG stellt für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer (auch Staatenlose) als "lex specialis" zu Abs. 1 neben dem Erfordernis eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland zusätzliche aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen für die nach Abs. 1 grundsätzlich gegebene Anspruchsberechtigung auf (s. auch Rz. 25ff.). Die Einschränkung des Kindergeldanspruchs bezweckt, Ausländer, von denen nicht zu erwarten ist, dass sie sich auf Dauer im Inland aufhalten, vom Kindergeldbezug auszuschließen. § 62 Abs. 2 EStG verlangt den Besitz eines qualifizierten Aufenthaltstitels, auch wenn der Ausländer unbeschränkt stpfl. ist:

  • Bis einschl. Vz 2004 war der Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis nach dem AuslG (Geltung bis 2004) erforderlich. Eine Aufenthaltsbewilligung oder Aufenthaltsbefugnis reichten nicht aus.[1]
  • Für Vz 2005 ist der Besitz eines Aufenthaltstitels nach dem AufenthG (Geltung ab 2005) erforderlich, und zwar einer Niederlassungserlaubnis, einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit, einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG, den §§ 31, 37, 38 AufenthG oder einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Deutschen oder zu einer von den § 62 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 erfassten Person.
  • Darüber hinaus schränkt Abs. 2 die Anspruchsberechtigung auch bei qualifiziertem Aufenthaltsstatus[2] für vorübergehend in das Bundesgebiet entsandte ausl. Arbeitnehmer weiter ein.
  • Seit Vz 2006 erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer nur unter folgenden Voraussetzungen Kindergeld:
    • Niederlassungserlaubnis,
    • Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, ausgenommen die Fälle des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. ac EStG,
    • Aufenthaltserlaubnis wegen Krieg, Härtefall usw. bei dreijährigem rechtmäßigem, gestattetem oder geduldetem Aufenthalt und berechtigter Erwerbstätigkeit, Bezug laufender Geldleistungen nach SGB III oder Inanspruchnahme von Elternzeit. Ein Aufenthalt aufgrund bloßer Duldung genügt nicht.

Die Neuregelung ist mit Wirkung v. 1.1.2006 in Kraft getreten.

Nach dem Zweck der Regelungen kann § 62 Abs. 2 EStG nicht auf Anspruchsberechtigte i. S. v. Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG Anwendung finden, da dieser Personenkreis ohnehin, d. h. auch ohne Absicht eines Aufenthalts im Inland, anspruchsberechtigt ist und mangels Aufenthalts im Inland keinen Aufenthaltstitel benötigt.

Der (teilweise) Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung begegnet keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach der Systemumstellung zum Kinderleistungsausgleich hat das Kindergeld Doppelcharakter. Es dient einmal der Steuerfreistellung in Höhe des vollen Kinderexistenzminimums und zum anderen, soweit es zur Freistellung des Existenzminimums nicht erforderlich ist, als Sozialleistung der Förderung der Familien mit niedrigem Einkommen (s. § 31 EStG Rz. 5ff.). Da § 32 EStG keine Einschränkungen für Ausländer enthält, wird diesen bei der Veranlagung[3] der Kinderfreibetrag sowie der Freibetrag für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf gewährt und dadurch jedenfalls eine Steuerentlastung der Eltern in Höhe des Existenzminimums der Kinder herbeigeführt. Bei entsprechend niedrigem Einkommen wird das Familienexistenzminimum zusätzlich durch die Sozialhilfe abgesichert. Der Gleichheitssatz verbietet nicht, darüber hinaus die Kindergeldberechtigung, soweit sie den Charakter einer Sozialleistung hat, auf Ausländer ohne gesicherten Aufenthaltsstatus i. S. v. § 62 Abs. 2 EStG zu beschränken. Denn im Bereich der Sozialleistungen steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu.[4]

Diese Regelung bezweckt, den Kindergeldanspruch als Familienförderung auf diejenigen Ausländer zu beschränken, von denen zu erwarten ist, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben und sich hier integrieren werden.[5] Die Begrenzung auf den Personenkreis, der im Besitz eines Aufenthaltstitels i. S. v. § 62 Abs. 2 EStG ist, erscheint grundsätzlich nicht gleichheitswidrig sachfremd. Ein Ausländer, der keinen Aufenthaltstitel besitzt und sich ausländerrechtlich lediglich geduldet im Inland aufhält, hat daher keinen Anspruch auf Kindergeld.[6] Auch wenn der BFH gelegentlich die einheitliche steuerrechtliche Beurteilung des Kindergelds nach der Systemumstellung hervorhebt[7], ist eine differenzierte Betrachtung von Kinderfreibetrag und Kindergeld hier sachgerecht. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der BFH das Kindergeld, soweit es der Familienförderung dient, gelegentlich nicht als Sozialleistung, sondern als Förderung durch eine Sozialzwecknorm bezeichnet.[8]

Bedenken sind allenfalls insoweit anzuerkennen, als Fälle bekannt geworden sind, in denen Personen, obwohl sie keinen gesicherten aufenthaltsrechtlichen Status besitzen, sich gleichwohl in Kenntnis und unter Duldung der Behörden viele Jahre im Inland aufhalten ("Kettenduldung") und sogar Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielen, sodass sie faktisch Personen mit ge...

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