Rz. 66

Ein Gewinn wird erst ausgewiesen und besteuert, wenn er realisiert worden ist. Die Realisierung erfordert regelmäßig einen Umsatzakt am Markt (Rz. 71). Grundlage des Realisationsprinzips ist, dass dem Unternehmen durch den Umsatzakt am Markt der Wert seiner Leistung von außen, einem Dritten, zufließt und dadurch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht wird. Hierzu gehören Umsatzakte, die einzelne Wirtschaftsgüter betreffen, sowie die Betriebsveräußerung nach § 16 EStG.

 

Rz. 66a

Systematisch ist die Realisation aufgrund des Realisationsprinzips zu unterscheiden von einem Gewinnausweis, der im letztmöglichen Zeitpunkt erfolgt, in dem noch die Erfassung der stillen Reserven möglich ist. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem das Wirtschaftsgut ohne Umsatzakt aus der steuerlichen Verstrickung ausscheidet, sodass ein späterer Umsatzakt am Markt nicht mehr zu einem Gewinnausweis bei dem Unternehmen führen kann. In diesen Fällen fließt dem Unternehmen keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch seine Tätigkeit am Markt zu, vielmehr ist Rechtsgrund des Gewinnausweises die Sicherstellung der Besteuerung der stillen Reserven, nicht mehr die Realisation durch einen Umsatzakt am Markt. Man kann diese Fälle zusammenfassend als "Entstrickung" bezeichnen. Hierunter fallen der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts[1], die Entnahme[2] und die Betriebsaufgabe.[3]

 

Rz. 66b

An sich kann von der Frage, zu welchem Zeitpunkt ein Ergebnis auszuweisen ist, gedanklich die Frage getrennt werden, wann das Ergebnis tatsächlich, ohne Rücksicht auf den Ausweis, entstanden ist. Steuerlich von Bedeutung ist jedoch nur die Frage, zu welchem Zeitpunkt Gewinne und Verluste in der Bilanz auszuweisen sind, da sie sich nur zu diesem Zeitpunkt steuerlich auswirken können. Im Folgenden wird daher nur die Frage des Gewinn- und Verlustausweises, und damit der steuerlichen Realisierung, behandelt.

 

Rz. 66c

Wann Gewinn und Verlust auszuweisen sind, richtet sich nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung; geregelt wird dies durch zwei Bilanzierungsgrundsätze, das Realisationsprinzip und den Imparitätsgrundsatz.

 

Rz. 66d

Ausgangspunkt für den Gewinn- und Verlustausweis ist immer der einzelne Vermögensgegenstand bzw. das einzelne Geschäft. Wegen des Grundsatzes der Einzelbilanzierung und –bewertung (Rz. 28) wird der Bilanzgewinn und -verlust nicht als einheitliche Größe ermittelt, sondern ergibt sich aus der Summe der einzelnen gewinn- oder verlustrealisierenden Maßnahmen. Ausnahmen von der Maßgeblichkeit des einzelnen Wirtschaftsguts bzw. Vermögensgegenstands müssen gesetzlich geregelt sein, wie dies beispielsweise in § 5 Abs. 1a S. 2 EStG für Bewertungseinheiten geschehen ist (Rz. 28).

 

Rz. 66e

Im Folgenden wird, entsprechend dem üblichen Sprachgebrauch, von Gewinnrealisierung gesprochen; richtig wäre der Ausdruck "Ergebnisrealisierung".

 

Rz. 67

Nach den §§ 4 Abs. 1, 5 EStG erfolgt die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich (Bilanzierung); Gewinn ist daher als Vermögenszuwachs, Verlust als Vermögensminderung definiert. Maßgebend für den Gewinn- und Verlustausweis in der Bilanz ist damit, ob, wann und mit welchem Wert ein Aktivposten bzw. ein Passivposten angesetzt werden darf oder muss. Gewinn und Verlust in der Bilanz ergeben sich daher aus der Summe der Entscheidungen über die Aktivierung und Passivierung sowie über die Bewertung der einzelnen Bilanzpositionen.

 

Rz. 68

Für den Gewinn- und Verlustausweis in der Bilanz ist damit entscheidend, was zu welchem Zeitpunkt mit welchem Wert in die Bilanz aufgenommen werden darf. Nach den Grundsätzen der statischen Bilanzauffassung (Rz. 12) muss die Bilanz das Vermögen des Kaufmanns vollständig, aber vorsichtig bewertet, widerspiegeln. Der Kaufmann darf also Vermögensgegenstände ohne besonderen Grund nicht gänzlich aus der Bilanz fortlassen, er darf aber auch unsichere Vermögenspositionen nicht als sicheres Vermögen ausweisen. Hieraus folgt, dass zwar einerseits alle Vermögensgegenstände (auch Schulden als negative Vermögensgegenstände) aufzuführen sind, dass aber andererseits in diesen Vermögenspositionen ruhende Gewinnchancen, die sich noch nicht genügend konkretisiert haben, nicht ausgewiesen werden dürfen. Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag im Realisationsprinzip gefunden.[4]

 

Rz. 68a

Das Verbot, unrealisierte Gewinne auszuweisen, dient in erster Linie dem Gläubigerschutz. Es soll verhindert werden, dass noch nicht realisierte Gewinne entnommen bzw. bei Kapitalgesellschaften ausgeschüttet werden können, und dass damit das Unternehmen durch einen Eingriff in die Vermögenssubstanz gefährdet wird. Das Realisationsprinzip hat daher seine Wurzeln im Vorsichtsprinzip.[5] Steuerlich bedeutet das Realisationsprinzip, dass der Staat einen Anspruch auf Teilhabe nur am realisierten Gewinn hat. Der Kaufmann braucht dem Staat keinen Anteil an einem unsicheren, weil noch nicht realisierten Gewinn zu gewähren (Rz. 159). Diese "Teilhaberthese", wonach der Fiskus nicht anders a...

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