Rz. 6

Die auszahlenden Stellen i. S. d. § 44 Abs. 1 S. 3 EStG werden vom Staat nach den Grundsätzen der Inpflicht- bzw. Indienstnahme als "Erfüllungsgehilfen"[1] verpflichtet, den KapESt-Abzug nach den §§ 43ff. EStG vorzunehmen. Das BVerfG hat diese Inpflichtnahme bisher regelmäßig gebilligt.[2] Die auszahlenden Stellen (etwa Kreditinstitute) sind als inländische juristische Personen des Privatrechts und Personenhandelsgesellschaften über Art. 19 Abs. 3 GG regelmäßig Träger des Grundrechts der Berufsfreiheit, da dieses Grundrecht seinem Wesen nach auf diese anwendbar ist und auch korporativ betätigt werden kann. Der Eingriff in die Berufsfreiheit der auszahlenden Stellen gem. Art. 12 Abs. 1 GG durch die Inpflichtnahme ist nach der Rspr. des BVerfG aber nur vereinbar, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage beruht (Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG), die durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht – wenn also das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Regelungsziels geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist.[3]

 

Rz. 6a

Bei der Erforderlichkeit der vorgesehenen Maßnahmen in § 45b EStG ergeben sich jedoch beträchtliche Zweifel: Der Gesetzgeber verfügt zwar bei der Erforderlichkeit grundsätzlich über einen Beurteilungs- und Prognosespielraum. Infolge dieser Einschätzungsprärogative können Maßnahmen, die der Gesetzgeber zum Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts für erforderlich hält, verfassungsrechtlich allerdings beanstandet werden, wenn nach den dem Gesetzgeber bekannten Tatsachen und im Hinblick auf die bisher gemachten Erfahrungen feststellbar ist, dass Beschränkungen, die als Alternativen in Betracht kommen, die gleiche Wirksamkeit versprechen, die Betroffenen indessen weniger belasten.[4] Dies ist hier der Fall. In Betracht kommt als Alternative etwa die Einführung eines allgemeinen Meldeverfahrens zur elektronischen Meldung von Steuerbescheinigungsdaten an die Finanzverwaltung. Der Übergang auf eine elektronische Meldung von Steuerbescheinigungsdaten hätte den Vorteil, dass ein Nebeneinander von Steuerbescheinigungen, die der Kunde erhält, und zusätzliche diverse Meldungen an die Finanzverwaltung vermieden würden. Zudem könnte für Steuerinländer eine vorausgefüllte Steuererklärung ermöglicht werden, für Steuerausländer hätte das BZSt Kenntnis über die erzielten Kapitalerträge. Anstelle der Einfügung der komplexen und im Massenverfahren nicht umsetzbaren §§ 45b ff. EStG könnte auch ein Bruttosteuerabzug auf Ebene der depotführenden Stellen verbunden mit einer KapESt-Entlastung ausschließlich über die Finanzverwaltung erfolgen. Im Rahmen der ESt- oder KSt-Erklärung müsste dann der Stpfl., der steuermindernde Umstände begehrt (Steuerbefreiung, Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen) geeignete Nachweise erbringen. Dies wäre auch konform mit dem in § 88 AO geregelten Amtsermittlungsgrundsatz, wonach es den Finanzbehörden obliegt, den (Einzel-)Sachverhalt zu ermitteln und aufzuklären (wenn Zweifel an Besteuerungsgrundlagen bestehen). Diese Vorgehensweise wäre zudem unterlegt durch die bereits existierenden Verpflichtungen der Stpfl- aus §§ 36a und 50j EStG, in der (ESt-/KSt-)Steuererklärung/dem Erstattungsantrag Angaben zu den in Rede stehenden Dividendenzuflüsse zu machen, um Missbräuche bei der Anrechnung oder Erstattung von KapESt zu verhindern. Die Sachverhaltsaufklärung im Sinne einer lückenlosen Nachweisführung auf Dritte zu verlagern, stellt einen Paradigmenwechsel dar. Hinzu kommt, dass diese Dritten (depotführende Stellen) selbst bei den notwendigen Daten auf Zulieferung von anderen angewiesen sind und diese nicht selbst vorhalten.

[1] Geurts, DB 1997, 1997.
[2] Zur Kuponsteuer siehe BVerfG v. 29.11.1967, 1 BvR 175/66, BVerfGE 22, 380, 383 und zur Erdölbevorratung BVerfG v. 16.3.1971, 1 BvR 52/66, 665/66, 667/66, 754/66, BVerfGE 30, 292, 312.
[3] BVerfG v. 28.3.2006, 1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276, 304; BVerfG v. 22.5.1996, 1 BvR 744/88, 60/89, 1519/91, BVerfGE 94, 372, 390.

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