Entscheidungsstichwort (Thema)

Kuponsteuerabzugsverfahren ist rechtswirksam

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verpflichtung der Banken zur Einbehaltung und Abführung der Kuponsteuer ist nicht an Art. 12 Abs. 2 Satz 1, sondern an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Sie ist eine zulässige Regelung der Berufsausübung.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Durchführung des Steuerabzugs (hier: Kuponsteuer) belastet die Kreditinstitute nicht mit einer schlechthin unternehmensfremden Tätigkeit, bindet nur einzelne Betriebsmittel, die für die Betriebsführung nicht von ausschlaggebendem Gewicht sind, und beeinflußt ihren gewerblichen Gesamtgewinn nicht in maßgeblicher Weise. Eine derartig begrenzte Inanspruchnahme privater Unternehmen im öffentlichen Interesse, hält sich in den verfassungsrechtlich vorgegebenen Grenzen.

 

Normenkette

EStG § 45 Abs. 3 S. 1, Abs. 6 S. 1; GG Art. 12, 14

 

Tatbestand

A. – I.

Nach § 49 Abs. 1 Ziff. 5b des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. d. F. des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und des Kapitalverkehrsteuergesetzes vom 25. März 1965 (BGBl. I S. 147) – im folgenden: Kuponsteuergesetz – unterliegen der Einkommensteuerpflicht u. a. Einkünfte beschränkt einkommensteuerpflichtiger Personen (§ 1 Abs. 2 EStG) aus Kapitalvermögen, das in Inlandsanleihen und -forderungen besteht, die in ein öffentliches Schuldbuch eingetragen oder über die Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind. Bei Zinsen aus festverzinslichen Wertpapieren dieser Art oder ihnen gleichgestellten Schuldbuchforderungen ist seitdem die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) u. a. unter den in § 43 Abs. 1 Ziff. 6 Satz 1 EStG genannten Voraussetzungen zu erheben. Über die Art und Weise des Steuerabzugs und die Haftung hierfür trifft § 45 EStG i. d. F. des Kuponsteuergesetzes u. a. folgende Regelung:

(1) – (2) …

(3) Die die Kapitalerträge auszahlende Stelle hat die Kapitalertragsteuer für den Steuerschuldner einzubehalten. Die die Kapitalerträge auszahlende Stelle ist

1. in den Fällen des § 43 Abs. 1 Ziff. 6 Satz 1

a) das Kreditinstitut mit Geschäftsleitung oder Sitz im Inland …, das die Kapitalerträge dem Gläubiger oder einer Stelle im Ausland auszahlt oder gutschreibt …

(4) – (5) ….

(6) Die die Kapitalerträge auszahlende Stelle haftet für die Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer …

II.

Die Beschwerdeführerin, eine Aktiengesellschaft, die sich mit der Auszahlung oder Gutschrift von Kapitalerträgen der obengenannten Art befaßt, wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die ihr durch § 45 Abs. 3 Satz 1 EStG auferlegte Pflicht, die Kapitalertragsteuer für den Steuerschuldner einzubehalten, sowie gegen die in § 45 Abs. 6 Satz 1 EStG bestimmte Haftung der auszahlenden Stelle für die Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer. Sie sieht darin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 und Art. 14 GG.

Die Pflicht zur Vornahme des Steuerabzugs stelle eine unzumutbare Indienstnahme Privater für öffentliche Aufgaben dar. Sie belaste die betroffenen Unternehmen mit einer Aufgabe, die außerhalb der üblichen Banktätigkeit liege und daher nur mit Hilfe von Spezialkräften zu bewältigen sei. Dadurch werde das Effektengeschäft mit zusätzlichen Kosten belastet. Zu dieser Vermögensschmälerung trete die Vermögensgefährdung, die darin bestehe, daß die auszahlende Stelle sowohl der öffentlichen Hand für den Steuerabzug als auch den Bankkunden für richtige Bearbeitung hafte. Die Prüfung der Ausländereigenschaft sei oft so schwierig, daß mit Rücksicht auf die Vielzahl der abzuwickelnden Verfahren Bearbeitungsfehler nie völlig auszuschließen seien. Diese unentgeltliche Überbürdung öffentlicher Aufgaben stelle ein Sonderopfer dar, das einer Teilenteignung gleichkomme.

Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Wenn die Abzugspflicht überhaupt an der Schutzvorschrift des Art. 12 GG zu messen sei, so stelle sie eine nach Art. 12 Abs. 2 Satz 1 GG zulässige Belastung dar, da sie einer herkömmlichen öffentlichen Dienstleistungspflicht entspringe. Die Kapitalertragsteuerpflicht trete nur ein, wenn in der Person des Gläubigers bestimmte Merkmale verwirklicht seien. Diese könnten nur von der Stelle, die die Kapitalerträge auszahle oder gutschreibe, festgestellt werden. Der Gesetzgeber habe daher in diesen Fällen davon absehen müssen, den Schuldner der Kapitalerträge mit dem Abzug der Steuer zu beauftragen. Die Dienstleistungspflicht der Kreditinstitute sei eine allgemeine, da sie alle mit der Auszahlung und Gutschrift von Kapitalerträgen befaßten Stellen in gleicher Weise treffe. Die möglicherweise hierdurch eintretende Minderung der Rentabilität stelle keine unzulässige Enteignung dar. Das gelte auch für die Haftung, die im übrigen nur in Betracht komme, wenn die Inanspruchnahme für das betroffene Unternehmen zumutbar sei.

 

Entscheidungsgründe

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen die gesetzliche Haftungsbestimmung (§ 45 Abs. 6 Satz 1 EStG) richtet, da die Beschwerdeführerin hierdurch nicht gegenwärtig und unmittelbar betroffen wird. Die Inanspruchnahme der die Kapitalerträge auszahlenden Stelle setzt einen besonderen staatlichen Vollzugsakt voraus, der in der Form des Haftungsbescheids ergeht. Nur dieser Bescheid und die ihn etwa bestätigenden Entscheidungen können daher mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden (BVerfGE 3, 1 [2]; 14, 25 [29]).

C.

Gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist die Beschwerdeführerin durch die ihr im Gesetz auferlegte Verpflichtung, die Kapitalerträge für den Steuerschuldner einzubehalten. Die Beschwerdeführerin kann auch als juristische Person eine Verletzung von Art. 12 GG geltend machen, da die von ihr betriebene Erwerbstätigkeit nach Wesen und Art in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 21, 261 [266]). Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch insoweit nicht begründet.

I.

Durch die beanstandete Bestimmung über den Abzug der Kapitalertragsteuer wird die Beschwerdeführerin ähnlich wie der Arbeitgeber beim Lohnsteuerabzug oder bei der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen oder ein Versicherungsunternehmen bei Einbehaltung der Versicherungssteuer zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben herangezogen. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Inanspruchnahme ist nicht an Art. 12 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen.

1. Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Art. 12 Abs. 2 Satz 1 GG lassen erkennen, daß die im nationalsozialistischen System üblich gewordenen Formen der Zwangsarbeit mit ihrer Herabwürdigung der menschlichen Persönlichkeit ausgeschlossen werden sollten. Der Parlamentarische Rat wollte im wesentlichen nur die gemeindlichen Hand- und Spanndienste, die Pflicht zur Deichhilfe und die Feuerwehrdienstpflicht als überkommene Pflichten, die der Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben durch zeitweilige Heranziehung zu Naturalleistungen dienen, zulassen (Schriftlicher Bericht des Hauptausschusses zum Entwurf des Grundgesetzes, Anlage zum stenografischen Bericht der 9. Sitzung des Parlamentarischen Rates vom 6. Mai 1949, S. 11). In den so umschriebenen Schutzbereich fällt die Inanspruchnahme der Banken in der hier vorliegenden Form nicht.

2. Die Verpflichtung der Banken, die Kapitalertragsteuer einzubehalten, stellt sich als eine Regelung der Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Allerdings kommt diese Bestimmung grundsätzlich nur für solche Normen in Betracht, die sich gerade auf die berufliche Betätigung beziehen und diese unmittelbar zum Gegenstand haben. Dies trifft zwar für die hier erörterten Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes nicht zu, denn sie regeln nicht die Art und Weise der Durchführung von Bankgeschäften, insbesondere des Effektengeschäftes, wie dies z. B. durch das Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren – Depotgesetz – vom 4. Februar 1937 (RGBl. I S. 171) geschehen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch bereits ausgeführt (BVerfGE 13, 181 [185]), es könne nicht ausnahmslos gefordert werden, daß die berufliche Betätigung unmittelbar Regelungsobjekt einer Norm sein müsse, um sie an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Der besondere Freiheitsraum, den Art. 12 Abs. 1 GG sichern will, kann auch durch solche Vorschriften berührt werden, die mit der Ausübung eines Berufs eine zusätzliche, außerhalb der eigentlichen Berufsausübung liegende Tätigkeit verknüpfen, wenn diese Tätigkeit im inneren Zusammenhang mit dem Beruf steht und Rückwirkungen auf die Berufsausübung hat. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Banken, die die Kapitalerträge üblicherweise einziehen, lassen damit dem Steuerschuldner gerade das Einkommen zufließen, dessen Entstehung eine Kapitalertragsteuerpflicht auslöst. Deshalb liegt es noch in der Sphäre ihrer Berufsausübung, wenn sie einen Teil dieser Erträge nicht an ihn weiterleiten, sondern für ihn als Kapitalertragsteuer einbehalten. Es liegt auf der Hand, daß diese Tätigkeit wegen der zusätzlichen Aufwendungen, die damit verbunden sind, die Rentabilität des Effektengeschäfts berührt. Deshalb muß die in Frage kommende Steuernorm die für eine Berufsausübungsregelung geltenden Voraussetzungen erfüllen.

a) Für die hier getroffene Regelung sprechen vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls (BVerfGE 7, 377 [405]). Das Kuponsteuergesetz brachte eine neue gesetzliche Regelung, die wirtschafts- und währungspolitisch bedingt war und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfGE 19, 119 ff.). Es beseitigte die bis dahin bestehende Privilegierung von Personen, die im Inland weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und daher nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind. Dadurch sollte ein unerwünschter Kapitalimport aufgehalten werden. Voraussetzung für die Erreichung dieser Zielsetzung ist u. a. die Verwirklichung des Steuerabzugs. Für die Entstehung der Kapitalertragsteuerpflicht kommt es darauf an, daß der Gläubiger im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese durch die Person des Gläubigers bestimmten Merkmale werden zweckmäßig von der Stelle ermittelt, die die Kapitalerträge dem Gläubiger auszahlt oder gutschreibt, d. h. in der Regel durch die Kreditinstitute (Begründung zum Kuponsteuergesetz, BT-Drucks. IV/2345 Allgemeines III S. 6 und zu Art. 1 Nr. 3 – § 45 EStG – S. 9). Die Gläubiger, auf deren persönliche Merkmale es ankommt, haben im allgemeinen keinen Kontakt zu den Emittenten ihrer Anleihe, sondern allein zu ihren Kreditinstituten. Die Übertragung des Einzugs der Kapitalertragsteuer auf die die Kapitalerträge auszahlenden Kreditinstitute war daher zur Erreichung des mit der Einführung der Kuponsteuer verfolgten wirtschafts- und währungspolitischen Zweckes geboten.

b) Die zusätzliche Belastung der Kreditinstitute ist weder unangemessen noch unzumutbar (vgl. BVerfGE 17, 232 [244]). Es kann zwar davon ausgegangen werden, daß die Prüfung der persönlichen Verhältnisse der von der Kapitalertragsteuerpflicht betroffenen Gläubiger zu einem Mehraufwand der Kreditinstitute führt. Diese Inanspruchnahme ist jedoch erträglich, zumal sie sich an die übliche Banktätigkeit anlehnt. Zur Vereinfachung des Steuerabzugs haben die Länderfinanzminister eine Verfahrensregelung erlassen, deren Handhabung keine besonderen steuerrechtlichen Kenntnisse voraussetzt und sich in ihren Anforderungen noch im Rahmen des von den Kreditinstituten gepflegten Effektengeschäftes hält (vgl. Abschnitt D des Erlasses des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 21. Juni 1965, BStBl. 1965 II S. 98 und S. 82 ff.). So kann die Bank anhand der Depotvermerke und sonstiger bei der Depoteröffnung angelegter Unterlagen grundsätzlich ohne besondere Schwierigkeiten feststellen, ob der Gläubiger in seiner Person die Merkmale aufweist, an welche die Kapitalertragsteuerpflicht anknüpft. Eine darüber hinaus reichende Ermittlungspflicht obliegt den Kreditinstituten grundsätzlich nicht. Sie dürfen von den in den Konto- und Depotunterlagen enthaltenen Angaben über den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt des Gläubigers ausgehen (Abschnitt D I des Erlasses). Wird das Wertpapier nicht bei einem inländischen Kreditinstitut verwahrt oder verwaltet oder befindet es sich in Eigenverwahrung, so ist der Steuerabzug bei der Auszahlung der Kapitalerträge durch die Bank ohne weitere Prüfung grundsätzlich vorzunehmen. Die Beweisführungslast für die Steuerfreiheit trifft insoweit den Gläubiger (Abschnitt D II des Erlasses).

II.

Auch Art. 14 GG ist durch die Verpflichtung zur unentgeltlichen Dienstleistung nicht verletzt. Es kann dahinstehen, ob eine Berufsausübungsregelung, die mit Art. 12 Abs. 1 GG in Einklang steht, überhaupt den Schutzbereich des Art. 14 GG berührt (vgl. BVerfGE 17, 232 [248]). Der Eigentumsschutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes (vgl. BVerfGE 1, 264 [277]; 13, 225 [229]) hindert den Gesetzgeber nicht, die sachlichen, personellen und finanziellen Mittel privatwirtschaftlicher Unternehmen in dem hier bestehenden Umfang in den Dienst einer auf andere Weise nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu bewältigenden öffentlichen Aufgabe zu stellen. Die Durchführung des Steuerabzugs belastet die Kreditinstitute nicht mit einer schlechthin unternehmensfremden Tätigkeit, bindet nur einzelne Betriebsmittel, die für die Betriebsführung nicht von ausschlaggebendem Gewicht sind, und beeinflußt ihren gewerblichen Gesamtgewinn nicht in maßgeblicher Weise. Eine derartig begrenzte Inanspruchnahme privater Unternehmen im öffentlichen Interesse, die sich allenfalls in einer geringfügigen Minderung ihrer Rentabilität niederschlägt, hält sich, wenn sie überhaupt an Art. 14 GG zu messen ist, jedenfalls in dem Bereich der Inhaltsbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), die grundsätzlich dem Gesetzgeber anheimgegeben ist (vgl. BVerfGE 13, 225 [229, 230]; 16, 147 [187]).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1711956

BVerfGE, 380

NJW 1968, 347

MDR 1968, 208

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