Rz. 361

Die Neuregelung über die Entstrickung in § 4 Abs. 1 S. 3 EStGist erstmals anzuwenden auf Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2005 enden, d. h. erstmals für den Vz 2006.

 

Rz. 361a

Soweit das Wirtschaftsjahr dem Kj. entspricht, sind von der Anwendung daher nur Vorgänge betroffen, die ab 1.1.2006 verwirklicht worden sind. Das G. v. 7.12.2006[1] ist am 12.12.2006 veröffentlicht worden. Daher legt sich das Gesetz Rückwirkung zu, da es auf Vorgänge anwendbar ist, die vor seiner Verkündung eingetreten sind. Da die ESt nach § 36 Abs. 1 EStG aber erst mit Ablauf des Vz entsteht, also mit Ablauf des 31.12.2006, handelt es sich um eine zulässige unechte Rückwirkung.

 

Rz. 361b

Problematischer ist die Anwendung für abweichende Wirtschaftsjahre. In diesem Fall endet das Wirtschaftsjahr regelmäßig vor der Verkündung des Gesetzes. Außerdem sind in diesem Wirtschaftsjahr Vorgänge enthalten, die noch in der Zeit vor dem 1.1.2006 liegen. Auch hier entsteht die ESt aber nach § 36 Abs. 1 EStG erst mit Ablauf des Vz, in dem das abweichende Wirtschaftsjahr endet, also ebenfalls erst mit Ablauf des 31.12.2006. Daher liegt (formal) auch insoweit eine unechte Rückwirkung vor. Allerdings greift das am 12.12.2006 verkündete Gesetz weit in das Jahr 2005 zurück.

Rz. 362 einstweilen frei

 

Rz. 362a

Das Problem der Rückwirkung ist durch G. v. 8.12.2010[2] verschärft worden. Nach § 52 Abs. 8b S. 2 EStG soll die Vorschrift insbesondere für Fälle, in denen ein bisher einer inländischen Betriebsstätte eines unbeschränkt Stpfl. zugeordnetes Wirtschaftsgut einer ausl. Betriebsstätte dieses Stpfl. zuzuordnen ist, für die das einschlägige DBA die Freistellungsmethode vorsieht, bereits für Wirtschaftsjahre anzuwenden sein, die vor dem 1.1.2006 enden. Gleiches soll für die Ergänzung durch S. 4 gelten; die Konkretisierung, was ein Ausschluss oder eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ist, soll immer dann gelten, wenn § 4 Abs. 1 S. 3 EStG anzuwenden ist, also im Fall der rückwirkenden Anwendung der Theorie der finalen Entnahme auch rückwirkend für Zeiträume vor dem 1.1.2006. In dieser echten Rückwirkung liegt m. E. ein besonderer Verstoß gegen das Vertrauensschutzinteresse des Stpfl. In der Erweiterung in § 4 Abs. 1 EStG um den S. 4, der vom Gesetzgeber als Klarstellung der Regelung verstanden wird, ist ein Nichtanwendungsgesetz zu verstehen. Mit diesem soll vermieden werden, dass der Entstrickungstatbestand nach der Entscheidung des BFH[3] zur Abkehr von der Theorie der finalen Entnahme ins Leere läuft.

 

Rz. 362b

Der Gesetzgeber[4] will durch die rückwirkende Anwendung des § 4 Abs. 1 S. 3 und 4 EStG die vom BFH[5] aufgegebene Theorie der finalen Entnahme für die Vergangenheit festschreiben und die Anwendung der BFH-Rechtsprechung auf die entschiedenen Einzelfälle beschränken. Da die finale Entnahmetheorie aufgrund der Rspr. des BFH rechtswidrig war, liegt hierin eine verfassungsrechtlich problematische echte Rückwirkung. Begründet wird diese Rückwirkung damit, dass die Rspr. des BFH von einer langjährig gefestigten Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis abweiche und die Wiederherstellung dieser langjährigen Praxis durch ein Gesetz mit echter Rückwirkung kein schutzwürdiges Vertrauen des Stpfl. verletze.[6]

 

Rz. 362c

M. E. rechtfertigt diese Begründung die echte Rückwirkung der Vorschrift nicht. Die Theorie der finalen Entnahme ist im Jahr 1969 vom BFH[7] geschaffen und im Jahr 1974 vom Großen Senat[8] bestätigt worden. Die Rspr. des BFH ist aber auf erhebliche Kritik in der Literatur gestoßen (Rz. 340).[9] Daher kann für die Zeit vor 2006 nicht von einer allgemein anerkannten Rechtsüberzeugung ausgegangen werden. Die Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme war daher auch in "Fachkreisen nicht unerwartet"[10], sondern gefordert worden. Dass die Verwaltung von dieser Rechtsprechung ausgegangen ist, kann eine solche allgemeine Rechtsüberzeugung nicht begründen. Die Rückwirkung ist daher m. E. verfassungswidrig.

 

Rz. 362d

Die Rückwirkung darf sachlich allenfalls diejenigen Fälle umfassen, in denen eine als "finale Entnahmehandlung" aufzufassende Handlung des Stpfl. feststellbar ist, also etwa die bewusste Überführung eines Wirtschaftsguts. Der Große Senat[11] hatte ausdrücklich eine von dem "finalen" Entnahmewillen des Stpfl. getragene "finale" Entnahmehandlung verlangt. Allenfalls insoweit kann sich daher eine Rechtsüberzeugung gebildet haben. Fälle des Ausschlusses oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ohne einen solchen Entnahmewillen und eine solche Entnahmehandlung können daher nicht unter die rückwirkende Regelung fallen.

 

Rz. 362e

Die Rückwirkung auf Zeiträume vor 2006 gilt nicht für die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts durch Überführung eines Wirtschaftsguts in eine Anrechnungsbetriebsstätte. Das ist darauf zurückzuführen, dass die "finale Entnahmetheorie" einen vollständigen Verlust des deutschen Besteuerungsrechts voraussetzte, der bei Geltung der Anrechnungsmethode nicht eintritt. Eine Ausdehnung der Rüc...

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