Rz. 74

Mit Erlass des Jahressteuerbescheids und der Festsetzung der Jahressteuerschuld verliert der Vorauszahlungsbescheid seine selbstständige Bedeutung; der Jahressteuerbescheid tritt an die Stelle des Vorauszahlungsbescheids und ersetzt ihn, der Vorauszahlungsbescheid hat sich "auf andere Weise" erledigt (§ 124 Abs. 2 AO).[1] Der Jahressteuerbescheid ist dann allein Zahlungs- und Beitreibungsgrundlage (Rz. 75)[2], d. h., (neue) Vollstreckungsmaßnahmen dürfen nur aufgrund des Jahressteuerbescheids ergriffen werden, eine Vollziehung bereits festgesetzter, aber noch nicht gezahlter Vorauszahlungen wird unzulässig.

 

Rz. 75

Der Vorauszahlungsbescheid hat lediglich noch Bedeutung für die Anrechnung der Vorauszahlungen auf die Jahressteuerschuld nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG. Streitigkeiten über die Anrechnung werden aber nicht im Vorauszahlungs- oder Veranlagungsverfahren, sondern durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO entschieden, gegen den der Einspruch gegeben ist (§ 347 Abs. 1 Nr. 1 AO). Der Vorauszahlungsbescheid behält aber noch Wirkungen für die Vergangenheit. Er bleibt Rechtsgrundlage für bereits geleistete Vorauszahlungen[3], für bereits ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen (nicht für neue, Rz. 6). Verwirkte Säumniszuschläge aufgrund verspäteter Zahlungen der Vorauszahlungen bleiben bestehen.[4] Der Vorauszahlungsbescheid wird daher nicht aufgehoben, sondern bleibt insbesondere von Bedeutung, wenn der Jahressteuerbescheid aus formellen Gründen aufgehoben wird, weil der Vorauszahlungsbescheid nunmehr (wieder) die Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen der Vorauszahlungen bildet.[5]

 

Rz. 76

Fraglich ist, ob bei Verjährung der Jahressteuerschuld eine Erstattung der Vorauszahlungen verlangt werden kann, weil die Steuerschuld gar nicht mehr festgesetzt wird oder der Steuerbescheid auf Einspruch wegen der Verjährung aufgehoben wird. Für die gleichliegende Problematik der Vermögensteuer hat der BFH einen Erstattungsanspruch bejaht. Werde die Jahressteuerschuld festgesetzt, falle die Vorauszahlungsschuld weg, sodass die Vorauszahlungen auf die endgültige Steuerschuld angerechnet werden könnten. Dürfe die Jahressteuerschuld nicht mehr festgesetzt werden oder werde die Festsetzung aufgehoben, so falle die Vorauszahlungsschuld ebenfalls weg, und die geleisteten Vorauszahlungen seien zu erstatten.[6]

 

Rz. 77

Diese Auffassung verkennt, dass eine Erledigung des Vorauszahlungsbescheids nach § 124 Abs. 2 AO nur durch Erlass des Jahressteuerbescheids eintreten kann. Ist aber der Erlass eines Jahressteuerbescheids wegen Verjährung gar nicht mehr zulässig oder wird der Jahressteuerbescheid mit dieser Begründung aufgehoben, kann die Erledigung gar nicht eintreten, die Vorauszahlungsschuld und der Vorauszahlungsbescheid bleiben bestehen bzw. leben wieder auf, wenn der Jahressteuerbescheid aufgehoben wird.[7] Formelle Rechtsgrundlage ist entgegen der Auffassung des BFH nunmehr nicht die Aufhebungsverfügung, sondern (wieder) der Vorauszahlungsbescheid. Sieht man die Aufhebungsverfügung als Rechtsgrundlage an, würde das bedeuten, dass dies dann auch in unverjährter Zeit gelten müsste und bei Aufhebung des Jahressteuerbescheids aus formellen Gründen die Vorauszahlungen zu erstatten wären. Dies ist aber unstreitig nicht der Fall (Rz. 75). Das Institut der auflösenden Bedingung (Rz. 7) vermag die Auffassung des BFH ebenfalls nicht zu stützen. Wenn die Vorauszahlungsschuld auflösend bedingt durch die Festsetzung der Jahressteuerschuld ist, kann wegen der Verjährung die Bedingung nicht mehr eintreten, die Vorauszahlungsschuld muss bestehen bleiben, ihre Erstattung kommt allenfalls aus Billigkeitsgründen in Betracht.[8]

 

Rz. 77a

Besonderheiten sind zu beachten bei der Anrechnung von ESt-Vorauszahlungen bei Ehegatten. Bei Vorauszahlungen ohne Tilgungsbestimmung ist davon auszugehen, dass der Ehegatte, der auf einen an ihn und seinen Ehegatten gerichteten Vorauszahlungsbescheid leistet, dies tut, um damit die zu erwartende ESt beider Ehegatten zu tilgen.[9] Hat der zahlende Ehegatte im Zeitpunkt einer Vorauszahlung kenntlich gemacht, dass er nur seine eigene Steuerschuld tilgen will, ist er im Falle der Erstattung dieses Betrags allein erstattungsberechtigt.[10]

Eine Erstattung von ESt-Vorauszahlungen kommt bei fehlender Tilgungsbestimmung im Regelfall nur hinsichtlich desjenigen Betrags in Betracht, um den die Vorauszahlungen die Summe der für beide Ehegatten festgesetzten ESt übersteigen. Dies gilt sowohl im Fall der Zusammenveranlagung als auch bei Wahl der Einzelveranlagung.[11]

[3] Ausführlich Stolterfoht, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 37 EStG Rz. A 8ff.

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