Rz. 20

Die grundsätzliche Regelung des § 23 EStG, Veräußerungsgewinne von bestimmten Wirtschaftsgütern des Privatvermögens unter Durchbrechung des Grundsatzes der Steuerfreiheit im Übrigen, dennoch einer Besteuerung zu unterwerfen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach dem UntStReformG 2008[1] besteht dieser Grundsatz kaum noch. Die Besteuerung entspricht dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die sich durch den Veräußerungsgewinn erhöht. Das BVerfG räumt dem Gesetzgeber bei der Auswahl und Bestimmung des Steuergegenstands einen weit­reichenden Entscheidungsspielraum ein.[2] Da im Betriebsvermögen grundsätzlich jeder Vermögenszuwachs zu versteuern ist, muss es dem Gesetzgeber gestattet sein, den Einkünftedualismus ganz aufzuheben und Gewinne aus jeder Veräußerung eines Wirtschaftsguts des Privatvermögens zu besteuern. Das BVerfG hat diese Möglichkeit daher dem Gesetzgeber eingeräumt und die zeitliche Beschränkung und damit die Ungleichbehandlung zum Betriebsvermögen für verfassungsgemäß angesehen.[3] Ein etwaiger Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG wegen der fehlenden ertragsteuerlichen Erfassung sämtlicher privater Veräußerungsgewinne[4] ist durch die Änderungen seit dem StEntlG 1999/2000/2002[5] und insbesondere dem UntStReformG 2008[6] nicht begründbar.[7] Das BVerfG hat ausdrücklich ausgeführt, dass § 23 EStG selbst keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, da der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehindert wäre, Gewinne aus jeder Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens zu besteuern.[8]

 

Rz. 21

Insbesondere durch die Erweiterung des § 23 EStG durch das StEntlG 1999/2000/­2002[9] war zweifelhaft, ob die Gleichheit im Belastungserfolg gegeben ist. Das BVerfG[10] hat aus Art. 3 GG abgeleitet, dass die Stpfl. durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet sein müssen. Ist dies nicht gegeben, kann es zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm führen. Eine Steuerbelastung, die nahezu ausschließlich auf der Erklärungsbereitschaft des Stpfl. beruht, weil die Erhebungsregelungen Kontrollen der Steuererklärungen weitgehend ausschließen, trifft nicht mehr alle und verfehlt die steuerliche Lastengleichheit, sodass im Veranlagungsverfahren das Deklarationsprinzip der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip bedarf.­­

 

Rz. 21a

Das BVerfG[11] hat entschieden, dass § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der für die Vz 1997 und 1998 geltenden Neufassung des EStG v. 16.4.1997[12] mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig ist, soweit er Veräußerungsgeschäfte mit Wertpapieren i. S. d. § 20 Abs. 2 EStG ab Vz 2009 betrifft. Das BVerfG bestätigt seine Grundsätze aus dem Zinsurteil[13], wonach Art. 3 Abs. 1 GG für das Steuerrecht verlangt, dass die Stpfl. durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Eine gleichheitsgerechte Durchsetzung des Steueranspruchs für Vz 1997 und 1998 scheitere an strukturellen Erhebungsmängeln. Hierunter fallen nicht Veräußerungen von GmbH-Anteilen.[14]

 

Rz. 21b

Die Nichtigkeit der Norm wirkt sich nur aus, wenn Stpfl. für die Vz 1997 und 1998 zulässige außergerichtliche und/oder gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren eingelegt haben bzw. entsprechende Bescheide vorläufig nach § 165 AO ergangen sind. Insoweit sind Bescheide zu ändern und die Besteuerung der Spekulationsgewinne rückgängig zu machen. Bestandskräftige Bescheide können nicht geändert werden (§ 79 Abs. 2 BVerfGG).[15] Es liegt daher auch keine sachliche Unbilligkeit i. S. d. §§ 163, 227 AO vor.[16] Es besteht lediglich ein Vollstreckungsverbot hinsichtlich der auf die Spekulationsgewinne entfallenden ESt (§ 251 Abs. 2 AO i. V. m. § 79 Abs. 2 BVerfGG). Gegen ein rechtskräftiges Strafurteil ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der StPO zulässig (§ 79 Abs. 1 BVerfGG).

 

Rz. 21c

Für die Jahre 1999ff. hat das BVerfG – obwohl rechtlich möglich – eine Nichtigkeit der Norm nicht ausgesprochen, weil sich die einfachgesetzliche Lage deutlich gewandelt habe. Dies folge zum einen aus den erweiterten Möglichkeiten zum Ausgleich von Spekulationsgewinnen durch entsprechende Spekulationsverluste, zum anderen aus der ab 2000 verstärkt einsetzenden negativen Kursentwicklung an den Kapitalmärkten. Werden daher bei privaten Wertpapiergeschäften erzielte Veräußerungsgewinne durch Verlustverrechnung in zunehmendem Maß neutralisiert und ist auch sonst aufgrund der Marktentwicklung kein wesentlicher Ertrag mehr zu erwarten, wirken sich selbst fortbestehende Vollzugsdefizite möglicherweise nicht mehr in verfassungsrechtlich relevanter Weise aus; der von der materiellen Steuernorm erteilte Vollzugsbefehl liefe ungeachtet defizitärer Erhebungsregeln leer. Darüber hinaus ist durch Einführung des verfassungsgemäßen Kontenabrufverfahrens[17], der Mitteilungen der Kreditinstitute nach § 45d EStG sowie der Jahresbescheinigung der Kreditinstitute nach § 24c EStG (ab Vz 2009 weggefallen) das Ermittlungsinstrumentariu...

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