9.1.1 Rechtsentwicklung und Verfassungsmäßigkeit des § 15b EStG

 

Rz. 377

§ 20 Abs. 7 S. 1 EStG bestimmt, dass die Regelungen über Steuerstundungsmodelle i. S. d. § 15b EStG bei der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 EStG sinngemäß anzuwenden sind. § 15b EStG geht auf § 2b EStG a. F. zurück, der mit dem StEntlGesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999[1] eingeführt worden war und eine Verlustverrechnungsbeschränkung für negative Einkünfte aus der Beteiligung an Verlustzuweisungsgesellschaften und ähnlichen Modellen enthielt. Die Vorschrift hatte Beteiligungen an Gesellschaften und Gemeinschaften im Auge, bei denen die Erzielung eines steuerlichen Vorteils im Vordergrund stand. Hiervon sollte nach Ansicht des Gesetzgebers auszugehen sein, wenn nach dem jeweiligen Betriebskonzept die Rendite auf das einzusetzende Kapital nach Steuern mehr als das Doppelte dieser Rendite vor Steuern betrug oder wenn Kapitalanlegern Steuerminderungen durch Verlustzuweisungen in Aussicht gestellt wurden. § 2b EStG a. F. galt für sämtliche Einkunftsarten und sollte die Regelungen zur Mindestbesteuerung i. S. d. § 2 Abs. 3 EStG a. F. ergänzen und langfristig zur Verminderung unerwünschter Steuersparmodelle beitragen.[2] Im Rahmen des Gesetzes zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen v. 22.12.2005[3] wurde § 2b EStG a. F. wegen verfassungsrechtlicher Probleme rückwirkend zum 11.11.2005 außer Kraft gesetzt. An seine Stelle trat § 15b EStG, der auf Gestaltungen abzielt, die den Stpfl. in der Anfangsphase hohe Verluste zuweisen und auf diese Weise erhebliche Steuerausfälle verursachen.[4] Nach Ansicht des Gesetzgebers soll es sich hierbei vielfach um betriebswirtschaftlich wenig sinnvolle Investitionen handeln, die ohne die damit verbundenen steuerlichen Vorteile nicht getätigt würden.[5]

Anders als § 2b EStG a. F. gilt § 15b EStG unmittelbar nur für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb i. S. d. § 15 EStG. Im Zusammenhang mit den anderen Einkunftsarten findet die Vorschrift nur bei einem ausdrücklichen Verweis Anwendung.[6] Ein solcher Verweis fand sich mit Blick auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 EStG zunächst nur für die Einkünfte aus stillen Gesellschaften und partiarischen Darlehen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG a. F. Dahinter stand die Befürchtung des Gesetzgebers, dass § 15b EStG gerade mithilfe solcher Kapitalanlagen umgangen werden könnte.[7] Im Rahmen des JStG 2007 v. 13.12.2006[8] hat der Gesetzgeber die neue Vorschrift des § 20 Abs. 2b S. 1 EStG a. F. eingeführt, im Rahmen derer die Verlustverrechnungsbeschränkung für Steuerstundungsmodelle i. S. d. § 15b EStG auf sämtliche Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 EStG ausgedehnt wurde. § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG a. F. wurde aufgehoben. Hintergrund für die Ausdehnung war, dass der Gesetzgeber vor allem im Bereich der Kapitallebensversicherungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG und der sonstigen Kapitalforderungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG die Gefahr weiterer Steuerstundungsmodelle sah.[9] Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007[10] wurde § 20 Abs. 2b S. 1 EStG a. F. ohne inhaltliche Änderung in § 20 Abs. 7 S. 1 EStG überführt.[11]

 

Rz. 378

Wie gegen § 2b EStG a. F.[12], werden auch gegen § 20 Abs. 7 S. 1 i. V. m. § 15b EStG Bedenken unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes vorgebracht. Im Ergebnis greifen diese Bedenken aber nicht durch. Aus dem im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verankerten Gebot der Normenbestimmtheit folgt zwar, dass gesetzliche Vorschriften so genau zu fassen sind, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können.[13] Der Bestimmtheitsgrundsatz verbietet es aber nicht, unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden, sofern sich diese mithilfe der allgemein anerkannten Regeln der juristischen Methodik hinreichend konkretisieren lassen.[14] Vor diesem Hintergrund wird man § 20 Abs. 7 S. 1 i. V. m. § 15b EStG als noch hinreichend bestimmt ansehen müssen. § 15b EStG enthält mit den Begriffen des Steuerstundungsmodells, der modellhaften Gestaltung und des vorgefertigten Konzepts zwar unbestimmte Rechtsbegriffe. Diese sind aber deutlich klarer gefasst als diejenigen des § 2b EStG a. F. und einer juristischen Auslegung zugänglich. Ein Verstoß des § 20 Abs. 7 S. 1 i. V. m. § 15b EStG gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot ist damit nicht gegeben.[15]

Indes sieht sich § 20 Abs. 7 S. 1 i. V. m. § 15b EStG darüber hinaus Zweifeln mit Blick auf das rechtstaatlich und grundrechtlich begründete Rückwirkungsverbot ausgesetzt.

Die Rspr. unterscheidet herkömmlich zwischen echter und unechter Rückwirkung. Von einer echten Rückwirkung wird gesprochen, wenn die belastenden Folgen einer Rechtsnorm schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten sollen.[16] Dies ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Ein anderes gilt nur dann, wenn zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht mehr vorhandenes schutzwür...

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