Rz. 123

§ 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG bestimmt, dass zu den sonstigen Bezügen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG auch Einnahmen gehören, die anstelle von Bezügen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG von einem anderen als dem Anteilseigner i. S. d. § 20 Abs. 5 EStG bezogen werden, wenn Aktien mit Dividendenberechtigung erworben, aber ohne Dividendenanspruch geliefert werden. Die Regelung soll verhindern, dass es im Zusammenhang mit Leerverkäufen von Aktien, die zeitnah zum Gewinnverteilungsbeschluss getätigt werden, zu Steuerausfällen bei der KapESt kommt.

 

Rz. 124

Aktien, die bis zum Tag des Gewinnverteilungsbeschlusses erworben, aber erst nach diesem Tag geliefert werden, stehen dem Erwerber nach den Börsenbedingungen mit allen zum Zeitpunkt des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts bestehenden Rechten und Pflichten zu. Daraus folgt, dass der Erwerber bereits im Zeitpunkt des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts als wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien zu behandeln ist und ihm ein Anspruch auf Zahlung der Dividende und KapESt-Anrechnungsanspruch zustehen. Im Fall eines Leerverkaufs, bei dem sich der Verkäufer die Aktien erst selbst noch beschaffen muss, stehen die Aktien im Zeitpunkt des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts aber noch im rechtlichen Eigentum eines Dritten. Steuerrechtlich sind die Aktien im Zeitpunkt des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts daher auch dem Dritten zuzurechnen, dem ebenfalls Ansprüche auf die Dividende und die KapESt-Anrechnung zustehen. Da der Dritte am Tag des Gewinnverteilungsbeschlusses noch rechtlicher Eigentümer der Aktien ist, wird ihm von der ausschüttenden Körperschaft die beschlossene Dividende ausbezahlt. Der Verkäufer kann dem Erwerber die Aktien daher nicht mit dem Anspruch auf Zahlung der Dividende liefern. Zum Ausgleich zahlt der Verkäufer dem Käufer einen Betrag in Höhe der entgangenen Dividende. Dieser als künstliche Dividende bezeichnete Betrag unterlag bis zur Einführung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG aufgrund fehlender Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis keiner Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG. Da dem Erwerber gleichzeitig ein KapESt-Anrechnungsanspruch zustand, war es daher möglich, dass die Summe der Anrechnungsansprüche der Erwerber die Summe der von den Kreditinstituten einbehaltenen KapESt überstieg. Dies soll § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG verhindern und der Finanzverwaltung die Summe an KapESt zur Verfügung stellen, die den Anrechnungsansprüchen der Erwerber entspricht.[1]

 

Rz. 125

§ 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG setzt voraus, dass einem Gesellschafter Einnahmen, d. h. Güter in Geld oder Geldeswert, anstelle von Bezügen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG gezahlt werden. Es darf sich bei den Einnahmen nicht um Vorteilszuwendungen handeln, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind. Stattdessen müssen Einnahmen an die Stelle solcher Vorteilszuwendungen treten. Voraussetzung für die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG ist weiterhin, dass die Einnahmen von einem anderen als dem Anteilseigner i. S. d. § 20 Abs. 5 EStG gewährt werden. Schließlich erfordert § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG, dass die Aktien, mit denen die erzielten Einnahmen in Zusammenhang stehen, mit Dividendenberechtigung erworben, aber ohne Dividendenanspruch geliefert werden.

 

Rz. 126

Liegen die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG vor, unterliegen die Einnahmen beim Gesellschafter als Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG der Besteuerung. Die Regelung führt dazu, dass Einnahmen, die nicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, als Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG besteuert werden.[2]

[1] BR-Drs. 622/06, 76ff.
[2] Intemann, in H/H/R, EStG/KStG, § 20 EStG Rz. 113.

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