Rz. 362

Da die Besteuerung nach § 17 Abs. 5 S. 1 EStG nur für grenzüberschreitende Vorgänge gilt, bestehen gegen sie europarechtliche Bedenken. Aus diesem Grund enthält § 17 Abs. 5 S. 2 – 4 EStG eine Ausnahmeregelung für Vorgänge, die den Bereich der EU betreffen.

Das Gesetz unterscheidet insoweit zwei Fälle. Handelt es sich bei der Körperschaft, die den Sitz verlegt, um eine SE, und fällt die Sitzverlegung unter Art. 8 der SE-Verordnung[1], so gilt § 17 Abs. 5 S. 1 EStG nicht, d. h., es kommt nicht zu einem fiktiven Veräußerungsgewinn und seiner Besteuerung.

Art. 8 der SE-Verordnung regelt den Fall, dass die SE ihren Sitz in einen anderen Mitgliedsstaat der EU verlegt. Dagegen regelt Art. 8 der SE-Verordnung nicht die Sitzverlegung der SE in einen EWR-Staat oder einen Drittstaat. Soweit die SE ihren Sitz in einen EWR-Staat oder einen Drittstaat verlegt (vorausgesetzt, dass dies überhaupt möglich ist), gilt die Ausnahmeregelung des § 17 Abs. 5 S. 2 – 4 EStG nicht, vielmehr erfolgt die Besteuerung des Anteilsinhabers nach § 17 Abs. 5 S. 1 EStG.

Der zweite Fall betrifft eine sonstige Kapitalgesellschaft, die also keine SE ist, die ihren Sitz in einen anderen EU-Staat verlegt. Dann gilt, wie für die SE, § 17 Abs. 5 S. 1 EStG und damit die Besteuerung des fiktiven Veräußerungsgewinns im Zeitpunkt der Sitzverlegung nicht. Wie bei der SE gilt diese Ausnahme nicht bei der Verlegung des Sitzes in einen EWR-Staat oder einen Drittstaat; in diesen Fällen ist § 17 Abs. 5 S. 1 EStG anzuwenden. Im Ergebnis gilt also sowohl für die SE als auch für andere Kapitalgesellschaften die gleiche Rechtslage.

 

Rz. 363

Erfolgt der Wegzug der SE oder der anderen Kapitalgesellschaft in einen Staat der EU, tritt an die Stelle der Sofortversteuerung nach § 17 Abs. 5 S. 1 EStG die Besteuerung bei einer späteren Veräußerung der Anteile und zwar in der gleichen Weise, als wenn eine Sitzverlegung der SE oder anderen Kapitalgesellschaft nicht stattgefunden hätte. Diese Regelung geht für die SE auf Art. 10d der Fusionsrichtlinie zurück, da danach die Sitzverlegung allein keine Besteuerung bei dem Gesellschafter auslösen darf.

Für diese Fälle wird statt der Sofortversteuerung nach S. 1 das deutsche Besteuerungsrecht nach S. 3 für den Fall einer tatsächlichen Veräußerung erweitert, und zwar unabhängig davon, welchem Staat nach dem jeweiligen DBA das Besteuerungsrecht zusteht. Die Regelung ändert die Zuordnung der Besteuerungsrechte nach dem jeweiligen DBA und ist daher abkommensdurchbrechend (treaty overriding). Eine entsprechende Regelung ist in § 15 Abs. 1a EStG enthalten, wobei durch § 17 Abs. 5 S. 4 EStG auch die Ersatzrealisierungstatbestände des § 15 Abs. 1a S. 2 EStG in Bezug genommen sind.

Besteuert wird der ganze Veräußerungsgewinn, also nicht nur der Teil, der bei einer Gewinnrealisierung im Zeitpunkt des Wegzugs der SE oder der anderen Kapitalgesellschaft entstanden wäre.

Ist in diesen Fällen der Gesellschafter beschränkt steuerpflichtig, wird die beschr. Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) Doppelbuchst. bb) letzter Halbs. EStG entsprechend erweitert, weil ohne diese Erweiterung die Veräußerung von Anteilen an einer ausl. Körperschaft durch einen beschr. stpfl. Ausländer nicht der inländischen beschr. Steuerpflicht unterliegen würde (§ 49 EStG Rz. 173ff.).

 

Rz. 364

Diese Besteuerung entspricht zwar Art. 10d der Fusionsrichtlinie, sie ist aber unzweckmäßig, da dadurch auf jeden Fall der Teil des Veräußerungsgewinns, der auf Wertsteigerungen in der Zeit zwischen der Sitzverlegung und der Veräußerung entfällt, doppelt besteuert wird. Nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 5 S. 3 EStG darf Deutschland auch diesen Gewinn besteuern, obwohl er außerhalb seiner Steuerhoheit entstanden ist. Diese Vorschrift besagt nämlich, dass der Veräußerungsgewinn so zu besteuern ist, als wenn die Sitzverlegung nicht stattgefunden hätte, also die Anteile an der SE oder der anderen Kapitalgesellschaft im Zeitpunkt der Veräußerung noch uneingeschränkt dem deutschen Besteuerungsrecht unterlegen hätten. Der ausländische Staat wird auf die Besteuerung zumindest des Teils des Gewinns nicht verzichten wollen, der zwischen der Sitzverlegung und der Veräußerung der Anteile entstanden ist. Auch nach dem Wortlaut des Art. 10d der Fusionsrichtlinie ist der Zuzugsstaat hierzu nicht gezwungen. Es wird ein Formulierungsfehler in der Fusionsrichtlinie angenommen werden müssen, der durch eine europarechtskonforme Reduktion des § 17 Abs. 5 S. 3 EStG bereinigt werden sollte. Die Besteuerung nach dieser Vorschrift würde dann nur den Teil des Veräußerungsgewinns erfassen, der in der Zeit bis zur Sitzverlegung entstanden ist.

Wird diese Reduktion nicht vorgenommen, stellt sich die Frage, ob diese Regelung sowie Art. 10d der Fusionsrichtlinie insoweit gegen die Grundfreiheiten (Niederlassungsfreiheit, Art. 43 EG, Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 56 EG) verstoßen, da diese Doppelbesteuerung prohibitive Ausmaße annehmen kann und sie bei einer Sitzverlegung innerhalb des Inlands nicht eintr...

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