Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderungsbefugnis für Steuerbescheide im Zusammenhang mit der Übertragung des Kinderfreibetrages und BEA-Freibetrages

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat der Steuerpflichtige die Übertragung des Kinderfreibetrages wegen unzureichender Erfüllung der Unterhaltspflicht durch den anderen Elternteil beantragt und stellt sich nach Erlass des Einkommensteuerbescheides heraus, dass die Voraussetzungen für die Übertragung nicht vorlagen, so kann der Bescheid regelmäßig gem. § 174 Abs. 2 AO geändert werden.

2. Hat der Steuerpflichtige nur die Übertragung des Kinderfreibetrages für ein volljähriges Kind in Ausbildung, nicht jedoch des BEA-Freibetrages beantragt, so ist das Finanzamt - wenn es den BEA-Freibetrag gleichwohl übertragen hat - an einer Änderung hinsichtlich der Gewährung des BEA-Freibetrages gehindert, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Übertragung nicht vorlagen. Hinsichtlich der Übertragung des BEA-Freibetrages liegen weder die Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 AO, noch des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.

 

Normenkette

AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 174 Abs. 2; EStG § 32 Abs. 6 Sätze 6, 8

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 22.04.2020; Aktenzeichen III R 25/19)

 

Tatbestand

Strittig ist, ob die Voraussetzungen für die Änderung der Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2014 formell-rechtlich und materiell-rechtlich gegeben sind.

Der Kläger sowie seine geschiedene Ehefrau C, die in zweiter Ehe verheiratet ist, sind die leiblichen Eltern von S. (geboren am 03. März 1991) sowie B. (geboren am 23. Juni 1992).

Mit der Behauptung, der andere Elternteil sei seiner Unterhaltspflicht nicht zu mindestens 75 % nachgekommen bzw. mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig, beantragte der Kläger in den Steuererklärungen für 2011 bis 2014 in der Anlage Kind jeweils die Übertragung des Kinderfreibetrages für seine beiden damals studierenden Kinder. In den Einkommensteuerbescheiden 2011 bis 2014 gewährte der Beklagte dem Kläger für jede seiner beiden Töchter antragsgemäß den vollen Kinderfreibetrag in Höhe von 4.368 € und außerdem den - nicht beantragten - vollen Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf in Höhe von 2.640 €, insgesamt also jeweils ein Betrag in Höhe von 7.008 €.

Nachdem das Finanzamt N dem Beklagten im Schreiben vom 30. Juli 2015 mitgeteilt hatte, dass nach Sachlage die Kindesmutter ihrer Unterhaltspflicht nachgekommen sei, erließ der Beklagte nach vorheriger Anhörung unter dem Datum vom 21. Dezember 2015 für die Veranlagungszeiträume 2011 bis 2014 - gestützt auf § 174 AO - geänderte Einkommensteuerbescheide und gewährte dem Kläger darin für jede Tochter nur noch den einfachen Kinderfreibetrag (2.184 €) und den einfachen Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (1.320 €) in Gesamthöhe von jeweils 3.504 €.

Den gegen diese Änderungsbescheide am 21. Januar 2016 erhobenen Einspruch begründete der durch den Verfahrensbevollmächtigten vertretene Kläger im Fax vom 17. Februar 2016 damit, dass keine Änderungsbefugnis nach § 174 AO bestünde und die Kindesmutter ihrer Unterhaltspflicht nicht im Wesentlichen, d. h. zu § 75 %, nachgekommen sei. Unter Zugrundelegung der niedrigsten Unterhaltsstufe von 488 € lt. Düsseldorfer Tabelle habe die Kindesmutter bei einer monatlichen Zahlung von 298 € eine Unterhaltsquote lediglich in Höhe von 61,07 % erbracht.

Durch Einspruchsentscheidung vom 31. August 2016 wies der Beklagte den Einspruch mit folgender Begründung zurück:

Das FG Bremen habe in seinem Urteil vom 25. November 1993 (191180K1, EFG 1994, 879) entschieden, dass ein Elternteil ohne Einkünfte und verwertbares Einkommen seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachkomme, wenn er die Kindergeldzahlung an das Kind weiterleite. So verhalte es sich hier. Die Kindesmutter habe unstrittig in den Streitjahren 2011 bis 2014 das entsprechende Kindergeld sowie jeweils 105 € an beide Kinder gezahlt. Ihre Einkommen hätten sich zudem in 2011 auf 2.578 € (= 1.165 € Dozententätigkeit + 1.413 € Vermietung), in 2012 auf 0 € (= 72 € Dozententätigkeit + 4.020 € Vermietungsverlust), in 2013 auf 12.189 (= 1.865 € Dozententätigkeit + 2.400 € Freibetrag + 7.924 € Vermietung) und in 2014 auf 7.386 € (= 913 € Dozententätigkeit + 2.400 € Freibetrag + 4.073 €) belaufen. Im Verhältnis zum Einkommen des Klägers (= 86.783 € in 2011, 88.610 € in 2013 und 95.672 € in 2014) sei die Kindesmutter im Jahr 2011 in Höhe von 2,88 %, im Jahr 2012 aufgrund fehlender positiver Einkünfte in Höhe von 0 %, im Jahr 2013 in Höhe von 12,09 % und im Jahr 2014 in Höhe von 7,17 € zum Unterhalt verpflichtet gewesen. Ausgehend von einem Regelbedarf eines Studierenden lt. Düsseldorfer Tabelle in Höhe von 670 € habe die absolute Unterhaltsverpflichtung der Kindesmutter somit 19,30 € im Jahr 2011, 0 € im Jahr 2012, 81 € im Jahr 2013 und 48,04 € im Jahr 2014 betragen. Dieser Unterhaltspflicht sei die Kindesmutter durch die monatliche Zahlung von jeweils 105 € nachgekommen. Da der Kinderfre...

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