Revision eingelegt (BFH XI R 41/20)

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerabzug aus widerrufenen Gutschriften - Wirksamkeit von Widerrufserklärungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Aus einer Gutschrift, die ihre Wirkung als Rechnung verloren hat, kann kein Recht zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG begründet werden.

2. Eine zeitlich vorangegangene Ausgliederung eines Unternehmensteils steht der Wirksamkeit eines Widerrufs gegenüber dem fortbestehenden Unternehmensteil nicht entgegen.

3. Die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG ist nicht im Wege teleologischer Auslegung dahingehend einschränkend auszulegen, dass sie nur für den Fall einer unrichtigen Gutschrift gilt und ein Widerspruch gegen eine zutreffende Gutschrift deshalb keine Wirkung hat.

4. Widerrufserklärungen der Lieferanten können auch als Rückgängigmachung des Verzichts auf Steuerbefreiung nach § 25c Abs. 3 UStG ausgelegt werden.

5. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt keine Billigkeitsmaßnahme. Diese Grundsätze gelten auch im Zusammenhang mit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO.

 

Normenkette

AO §§ 163, 233a; UStG § 14 Abs. 2 S. 3, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 25c Abs. 3

 

Tatbestand

Streitig ist der Vorsteuerabzug aus widerrufenen Gutschriften, die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung gemäß § 233a AO zur Umsatzsteuer 2010 und die Ablehnung einer Billigkeitsregelung in Bezug auf diese Vorsteuerbeträge und die Zinsen gemäß § 233a zur Umsatzsteuer 2010 nach den §§ 163, 227 Abgabenordnung (AO).

Die Klägerin ist eine GmbH mit Sitz in 1 (AG HRB). Gegenstand ihres Unternehmens ist die Verwaltung eigenen Vermögens, insbesondere von Immobilien und Beteiligungen an anderen Gesellschaften.

Die Klägerin (als damalige "X-AG") gliederte durch notariell beurkundeten Ausgliederungs- und Übernahmevertrag vom 06.07.2010 ihren Geschäftsbereich "Produkte" nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes zur Aufnahme in die zuvor neu gegründete Firma X E-GmbH (Amtsgericht HRB) aus. Dadurch sollten sämtliche diesem Geschäftsbereich zuzuordnende Vermögensgegenstände und Schulden und alle sonstigen Rechte und Pflichten sowie Rechtsbeziehungen unter Fortbestand der übertragenden Gesellschaft ausgegliedert werden (§§ 123 Abs. 3 Nr. 1, 125, 46 ff, 60 ff, 138 ff, 141 ff UmwG). Dazu gehörten nach § 3 lit. f) der Vereinbarung insbesondere auch die in Anlage 3.2 lit. f) genannten Liefer- und Einkaufsverträge. Am 13.08.2010 erfolgte die Eintragung im Handelsregister sowohl bei der Klägerin (X AG, nun umbenannt in "X Holding AG") als auch bei der XGmbH (umbenannt in "X E-GmbH", nachfolgend "X-GmbH"). Mit Gesellschaftsvertrag vom 22.09.2014 erfolgte die formwechselnde Umwandlung der Klägerin in die X Holding GmbH.

Die Klägerin war bis zur Ausgliederung operativ im Geschäftsbereich "Produkte" tätig und erfasste die Umsätze hieraus bis einschließlich August 2010. Die nachfolgenden Umsätze meldete die übernehmende X E-GmbH an.

Die X-AG erwarb im Zeitraum vom 10.05.2010 bis 02.07.2010 Produkte von der Firma S in 31 Fällen über einen Gesamtbetrag von netto 3.840.277 € und Umsatzsteuer in Höhe von 729.652,63 € sowie im Zeitraum vom 05.07.2010 bis 21.07.2010 von der Firma H in 10 Fällen über einen Gesamtbetrag von netto 2.093.208 € und Umsatzsteuer i.H.v. 397.709,52 €. Diese Lieferanten legten als Nachweis ihrer Unternehmereigenschaft Bestätigungen der jeweils zuständigen Finanzämter, Gewerbeanmeldungen sowie Personalausweise vor. Über die einzelnen Lieferungen erstellte die Klägerin ordnungsgemäße "Ankaufsrechnungen" im Wege von Gutschriften mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer über 19% und überwies die entsprechenden Bruttobeträge - mit Ausnahme eines Betrages von 258.212,15 €. Eine schriftliche Vereinbarung zu den Abrechnungsmodalitäten trafen die Vertragsparteien nicht.

Am 21.07.2010 wurden die Geschäftsräume der Klägerin im Zuge eines gegen einen weiteren Lieferanten eingeleiteten Ermittlungsverfahrens der Steuerfahndung 2 durchsucht, weil dieser Produkte an die X-AG veräußert, die Umsatzsteuer aber nicht an das Finanzamt abgeführt hatte. Im weiteren Verfahren teilte die Klägerin der Steuerfahndung weitere bisher nicht bekannte Lieferanten mit, darunter auch S und H. Auf diese Weise konnten mit Hilfe der Klägerin ca. 270.000 € gesichert und Steuerstrafverfahren gegen die Lieferanten H und S wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer eingeleitet werden.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 03.08.2010 forderte H die X-AG zur Zahlung noch offener Kaufpreise in Höhe von 188.045 € netto zzgl. USt von 35.728,55 € sowie von 28.940,00 € zzgl USt 5.498,60 €, insgesamt 258.212,15 €, bis 05.08.2020 auf. Diesen Betrag überwies die Klägerin am 02.09.2010 jedoch nicht an H, sondern aufgrund einer zwischenzeitlich ergangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung an das für H zuständige Finanzamt 3.

Mit an die X-AG adressiertem Schreiben vom 20.09.2020, eingegangen bei der Klägerin am 29.09.2010, wid...

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