Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen dafür, dass ein behindertes Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnlichen wirtschaftlichen Belastungen, etwa Aufwendungen für zusätzliche Wäsche, Unterstützungs- und Hilfeleistungen sowie typische Erschwernisaufwendungen.

2. Werden die Aufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, kann der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG als Anhalt für den Mehrbedarf dienen.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3

 

Tatbestand

Streitig ist das Kindergeld für K (geb. 00.10.1986).

Nach Aktenlage absolvierte das Kind bis Juli 2012 eine Berufsausbildung als Bürokaufmann. Von Oktober 2012 bis Juli 2013 betrieb das Kind ein Studium der Medieninformatik an der Hochschule.

In der Zeit von Oktober 2013 bis Juni 2014 bezog das Kind Arbeitslosengeld I. Die Entgeltersatzleistung betrug nach dem Bewilligungsbescheid der Agentur für Arbeit vom 06.11.2013 täglich 28,07 € bzw. 842,10 € im Monat. Von Januar 2015 bis Dezember 2015 bezog das Kind ALG II Leistungen i.H.v. 742 € monatlich (Bewilligungsbescheid des Jobcenters vom 23.02.2015).

Das Zentrum Bayern hat im Januar 2018 einen Schwerbehindertenausweis mit Wirkung ab Oktober 2017 ausgestellt. Für das Kind wurde ein GdB von 50 für das Autismus-Asperger-Syndrom als seelische Störung und ein GdB von 10 für die Funktionsbehinderung aufgrund einer Wirbelsäulenverformung festgestellt.

Mit Bescheid vom 29.11.2017 lehnte die Familienkasse den Antrag auf Kindergeld für das Kind K ab Januar 2011 ab. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die für die Entscheidung über den Kindergeldanspruch notwendigen Unterlagen nicht eingereicht worden seien und somit nicht festgestellt werden könne, ob ab dem genannten Zeitpunkt ein Anspruch auf Kindergeld bestehe.

Der Kläger erhob Einspruch.

Im Einspruchsverfahren gewährte die Familienkasse mit Bescheid vom 24.09.2018 Kindergeld für das Kind K A. ab dem Monat April 2016.

Mit Einspruchsentscheidung vom 22.01.2019, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, wies die Familienkasse den Einspruch im Übrigen für den Zeitraum von Oktober 2013 bis März 2016 als unbegründet zurück.

Zur Begründung führte sie aus, dass die Klägerin für den Zeitraum von Oktober 2013 bis März 2016 eine Behinderung des Kindes nicht nachgewiesen habe.

Der Klägervertreter hat Klage erhoben.

Im Klageverfahren hat die Familienkasse mit Bescheid vom 27.12.2019 Kindergeld für die Zeiträume 07/2014 bis 12/2014 und 01/2016 bis 03/2016 festgesetzt. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Rechtsstreit für diesen Zeitraum wurde unter dem Az. 3 K 150/20 abgetrennt.

Zur Begründung der Klage wird vorgetragen:

Eine Behinderung des Kindes sei für den Klagezeitraum durch eine Vielzahl von ärztlichen Unterlagen nachgewiesen. So habe die Klägerin der Familienkasse ein Attest des Kinder- und Jugendpsychologen Dr. D vom 06.07.2006 (damit also vor dem 25. Lebensjahr) eingereicht, in dem das Vorliegen einer Schwerbehinderung in Form des Autismus-Asperger-Syndroms und damit eine schwere seelische Behinderung diagnostiziert wird. Das Autismus-Asperger-Syndrom stelle im Übrigen auch eine angeborene und vor allem unheilbare Krankheit dar, so dass insoweit bereits medizinisch ausgeschlossen sei, dass sich an der hierdurch bedingten Behinderung für den hier streitgegenständlichen Zeitraum etwas geändert haben könnte. Das Vorliegen einer Behinderung sei der Behörde aber auch durch eine Reihe weiterer ärztlicher Gutachten nachgewiesen worden. Auch zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des Sohnes der Klägerin fänden sich in der Akte der Beklagten eine Vielzahl von Nachweisen. Das Vorliegen einer Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres und die Ursächlichkeit der Behinderung dafür, dass das Kind nicht in der Lage ist selbst seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, könne auch durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens bewiesen werden.

Zudem handele die Familienkasse inkonsequent, da sie für den Zeitraum bis September 2013 und den Zeitraum ab April 2016 sehr wohl Kindergeld unter Anerkennung des Vorliegens einer Behinderung bewilligt habe. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Sohnes der Klägerin in der Zeit bis September 2013 seien dieselben wie ab April 2016 bzw. wie im Klagezeitraum. Das auf Seiten des Sohnes der Klägerin vorliegende multiple Krankheitsbild schließe es aus, dass die hierdurch hervorgerufene Behinderung vorübergehend sozusagen "verschwinde" und erst später wieder auftrete. Es handele sich insoweit um einen dauerhaften Zustand, der einer ärztlichen Behandlung, die zu einer vorübergehenden Beseitigung des Krankheitsbildes führe, nicht zugänglich sei, sodass ärztliche Behandlungsmaßnahmen nur zu einer Linderung der Beschwerden, aber nicht zu einem Wegfall des Bes...

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