Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH folgt aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, dass sich die Beteiligten an einer zulässigen und wirksamen tatsächlichen Verständigung festhalten lassen müssen. D.h. solange und soweit die tatsächliche Verständigung wirksam ist, müssen sowohl die Finanzbehörden als auch der Steuerpflichtige sie beachten und es hat das Finanzgericht die tatsächliche Verständigung seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Für den Steuerpflichtigen führt deren Tatbestandswirkung zu einem materiellen Einwendungsausschluss. Die Voraussetzungen einer tatsächlichen Verständigung sind vom Finanzgericht als Tatsacheninstanz festzustellen.

 

Normenkette

AO §§ 164, 168

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 22.04.2010; Aktenzeichen V B 86/09)

 

Tatbestand

Streitig ist die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung.

Der Kläger betreibt seit 1997 nebenberuflich in A, OT B, C, einen Einzelhandel mit Dischen Volkskunsterzeugnissen und Erzeugnissen der Traditionspflege. Daneben betreibt der Kläger im gleichen Anwesen ein Café. Neben dem Kläger wohnten in den Streitjahren in dem Anwesen C auch die Schwiegereltern des Klägers, die Eheleute E, die ihn in seinem Unternehmen unterstützten.

Das Finanzamt setzte, jeweils unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO), mit Bescheid vom 22.11.2000 die Umsatzsteuer 1999 in Höhe von - 21.025 DM, mit Bescheid vom 26.07.2001 die Umsatzsteuer 2000 in Höhe von - 21.556 DM und mit Bescheid vom 06.08.2003 die Umsatzsteuer 2002 in Höhe von - 7.663,69 € fest. Das Finanzamt hat die vom Kläger in den von ihm eingereichten Umsatzsteuererklärungen errechnete Umsatzsteuer für das Jahr 2002 unverändert, für die Jahre 1999 und 2000 mit Abweichungen (Umsatzsteuer lt. Erklärung: 1999: - 26.940,16 DM, 2000: - 20.200,17 DM) übernommen.

In seiner beim Finanzamt am 28.05.2004 eingereichten Umsatzsteuererklärung 2003, die nach Zustimmung des Finanzamts als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung wirkte (§ 168 AO), erklärte der Kläger steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 49.393,87 €, abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von 10.059,08 € und errechnete eine Umsatzsteuer in Höhe von - 2.156,07 €.

Nachdem das Finanzamt die Zustimmung zur am 27.06.2005 eingereichten berichtigten Umsatzsteuererklärung 2004 nicht erteilt hatte, setzte es für das Jahr 2004 mit Bescheid vom 16.11.2005 die Umsatzsteuer in Höhe von - 307,08 € fest. Es berücksichtigte steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 48.978 € und abziehbare Vorsteuerbeträge von 8.143,56 €. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO).

Das Finanzamt führte beim Kläger für die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2002 eine Betriebsnahe Veranlagung durch (Beginn: 19.08.2004) und traf folgende Feststellungen:

Eine Überprüfung der Einnahmen des Klägers war nicht möglich. Der Kläger hat weder ein geschlossenes Kassenbuch noch ein Wareneingangs- und Warenausgangsbuch geführt. Die eingenommenen Bargeldbeträge wurden in einer Kassenschublade gesammelt, am Ende des Tages gezählt und auf einem losen Blatt vermerkt. Die gesammelten Tagessummen wurden als Grundlage für die vorgelegte Zusammenstellung der Einnahmen und erklärten Umsätze verwendet. Eine einzelne Erfassung der eingenommenen Beträge erfolgte nicht. Ebenso wurden Anfangs- und Endbestände sowie entnommene Beträge oder bar gezahlte Ausgaben nicht aufgezeichnet.

Die Ausgabenbelege wurden nach Ausgabenarten zusammengeheftet und auf einem losen Blatt handschriftlich zusammengestellt. Eine chronologische Aufzeichnung bzw. Abheftung der Ausgabenbelege lag nicht vor. Ob die Ausgaben bar oder durch Banküberweisung gezahlt wurden, war nicht erkennbar.

Die von der Prüferin durchgeführte Richtsatzverprobung für das Café ergab Rohgewinnaufschlagsätze in Höhe von 24% (1999) und von 5% (2000). Privatentnahmen für das Café hatte der Kläger nicht berücksichtigt.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Aktenvermerk der Prüferin vom 09.08.2006 und auf den vorläufigen Bericht über die Betriebsnahe Veranlagung vom 17.03.2006 verwiesen.

Im Hinblick auf die Feststellungen der Prüferin wurde am 06.04.2006 unter Einbeziehung der Streitjahre 2003 und 2004 folgende Vereinbarung getroffen:

„Niederschrift über eine tatsächliche Verständigung

Zwischen Herrn F G, C, I A

vertreten durch Frau H E, C, I A

und dem Finanzamt J (Festsetzungsfinanzamt),

vertreten durch K

wird auf der Grundlage der BFH-Urteile vom 11.12.1984, BStBl II 1985 S. 354, vom 05.10.1990, BStBl II 1991 S. 45, und vom 06.02.1991, BStBl II 1991 S. 673, eine Verständigung über Sachverhalte getroffen, da weitere Ermittlungen nicht oder nur unter verhältnismäßig hohem Aufwand zum Erfolg führen.

Die Beteiligten gehen bei den

  • Einkommensteuerveranlagungen 1999 - 2004
  • Umsatzsteuerveranlagungen 1999 - 2004

von folgendem Sachverhalt aus:

Der private Verzehr im Cafe wurde bisher nicht nachprüfbar aufgezeichnet. Die unentgeltlichen Wertentnahmen werden auf jährlich ...

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