Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Kindergeldanspruch einer Rumänin ohne Vorlage einer Freizügigkeitsberechtigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Für Staatsangehörige der der EU zum 1.1.2007 beigetretenen Staaten Rumänien und Bulgarien hat die deutsche Bundesregierung für die Jahre 2010 und 2011 dahingehend von ihrem Recht zur Beschränkung der Freizügigkeit Gebrauch gemacht, dass die Freizügigkeitsberechtigung zwecks Arbeitssuche in Deutschland davon abhängig ist, dass ihnen eine Arbeitserlaubnis-EU oder eine Arbeitsberechtigung-EU i.S.d. § 284 SGB III ausgestellt wurde.

2) Aus dem "Merkblatt Kindergeld" des Bundeszentralamts für Steuern, Stand Jan. 2012, folgt nichts anderes, weil es voraussetzt, dass der Anspruchsteller schon freizügigkeitsberechtigt ist.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 2; AEUV Art. 21 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 05.12.2013; Aktenzeichen XI R 16/13)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin die Voraussetzungen des § 62 EStG erfüllt.

Die Klägerin besitzt die rumänische Staatsangehörigkeit und hält sich seit April 2009 in Deutschland auf. Nach eigenen Angaben hat sie eine Freizügigkeitsbescheinigung beim Ausländeramt C beantragt. Über den Stand bzw. den Ausgang des Verfahrens liegen dem Gericht keine Informationen vor.

Am xx.xx.xxxx wurde die Tochter K geboren. Das Kindergeld für K erhielt zunächst der Kindesvater, mit dem die Klägerin bis zum 17.10.2010 zusammenlebte. Am 18.10.2010 zog die Klägerin zusammen mit ihrer Tochter in ein Frauenhaus. Am 25.11.2010 stellte sie einen Antrag auf Auszahlung des Kindesgeldes an sich selbst.

Der Antrag wurde mit Bescheid vom 17.05.2011 mit Wirkung ab November 2010 abgelehnt unter Hinweis darauf, dass die Klägerin trotz mehrfacher Aufforderung keine Freizügigkeitsberechtigung vorgelegt habe.

Den hiergegen eingelegten Einspruch begründete die Klägerin damit, dass sie als EU-Bürgerin bereits kraft Gesetzes (Verweis auf Artikel 18 und 21 AEUV und § 2 FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt sei. Sie halte sich zur Arbeitssuche im Bundesgebiet auf. Das Freizügigkeitsrecht entstehe nicht durch die Ausstellung der Freizügigkeitsbescheinigung, sondern letztere sei lediglich deklaratorischer Natur. Die Freizügigkeit ende erst, wenn der Verlust dieses Rechtes bestands- oder rechtskräftig festgestellt worden sei.

Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 07.11.2011 als unbegründet zurückgewiesen.

Im Klageverfahren verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Sie macht geltend, dass durch den EU-Beitrittsvertrag lediglich die Arbeitnehmerfreizügigkeit dahingehend eingeschränkt werde, dass Unionsbürger aus Rumänien und Bulgarien zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis benötigen würden. Dies allerdings gelte nur so lange, wie nicht § 3b der Beschäftigungsverfahrensverordnung greife. Nach einer dreijährigen Aufenthaltszeit sei vor Aufnahme einer Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis nicht erforderlich.

Unabhängig davon sei sie – die Klägerin – sehr wohl freizügigkeitsberechtigt. Ein Unionsbürger könne sich so lange auf die Freizügigkeit berufen, solange eine rechtskräftige Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörde über die „Verlustfeststellung” nicht vorhanden sei. Die Klägerin verweist auf das Urteil des EuGH vom 20.09.2001 – C – 184/99, Slg. 2001 I-6193, Grcelczyk. Der EuGH führe in dieser Entscheidung ausdrücklich aus, dass, solange eine aufenthaltsbeendende Entscheidung fehle, der Zugang zur Sozialhilfe nicht eingeschränkt sei.

Ein Unionsbürger, und zwar sowohl ein Alt-EU-Bürger als auch ein Neu-EU-Bürger, sei nicht erst dann freizügigkeitsberechtigt, wenn er im Besitz einer Arbeitserlaubnis sei. Das Freizügigkeitsrecht ergebe sich unmittelbar aus EU-Primärrecht, und zwar aus Art. 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

Demgemäß habe auch sie – die Klägerin – Anspruch auf Kindergeld. Hierzu werde ausdrücklich auch auf das Merkblatt Kindergeld, Bundeszentralamt für Steuern, Stand Januar 2012, Seite 6, sowie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Familienwegweiser.de verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17.05.2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.11.2011 zu verpflichten, zu Gunsten der Klägerin für das Kind K Kindergeld für den Zeitraum November 2010 bis November 2011

festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist darauf, dass rumänische und bulgarische Staatsangehörige während einer Übergangszeit, die bis längstens zum 31.12.2013 dauere, nur mit Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit eine Beschäftigung ausüben dürften. Die Freizügigkeit sei mithin eingeschränkt.

Aus den vorliegenden Akten ergibt sich zudem Folgendes:

  • • Bei einer Vorsprache bei der Agentur für Arbeit am 15.11.2010 teilte die Klägerin unter Vorlage ihres Mutterpasses mit, dass sie sich in den ersten drei Lebensjahren ihres Kindes ausschließlich um die Kinderbetreuung kümmern wolle (s. Vermerk auf Bl. 21 KgA).
  • • Am xx.xx.xxxx hat die Klägerin ein weitere...

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