Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung des Erlasses einer Kindergeldrückforderung durch eine unzuständige Behörde

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Ausgangsbehörde und nicht die Rechtsmittelbehörde ist Beklagte i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 FGO.

2. Für den Bereich „Inkasso” ist in Bezug auf Kindergeld die örtliche Familienkasse sachlich zuständig.

3. Wenn die Familienkasse, die für die Entscheidung über einen Erlassantrag zuständig ist, als zuständige Behörde die Einspruchsentscheidung erlässt, führt dies nicht zur Heilung der sachlichen Unzuständigkeit bei Erlass des Ablehnungsbescheides.

4. Die Vorschrift des § 127 AO gilt nicht bei Verletzung der sachlichen Zuständigkeit.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157; AO §§ 16, 126-127; FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 Sätze 1, 4; FGO § 63 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 19 Abs. 4

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 19.01.2023; Aktenzeichen III R 2/22)

 

Tatbestand

Streitig ist der Erlass einer Kindergeldrückforderung.

Die Klägerin erhielt aufgrund eines Abzweigungsbescheides vom 08.05.2014 laufend Kindergeld für sich selbst. Im Oktober 2014 beendete die Klägerin ihre Ausbildung vorzeitig, wovon die zuständige Familienkasse erst im Jahr 2016 Kenntnis erlangte und daraufhin die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Vater der Klägerin aufhob und mit Bescheid vom 08.12.2016 von der Klägerin, als Abzweigungsempfängerin, das für den Zeitraum von November 2014 bis einschließlich Juli 2016 gezahlte Kindergeld zurückforderte. Beide Bescheide wurden bestandskräftig.

Die Vollstreckung des Rückforderungsbescheides übernahm die Agentur für Arbeit Inkasso-Service (Beklagte).

Am 15.11.2017 beantragte die Klägerin den Erlass dieser Rückforderung. Zur Begründung gab sie an, dass sie während des Rückforderungszeitraums Leistungen nach dem SGB II bezogen habe, bei denen die Kindergeldzahlungen in vollem Umfang angerechnet worden seien. Mit Bescheid vom 21.02.2018 erließ die Beklagte eine Teilforderung i.H.v. 184 € und lehnte den Erlassantrag mit Hinweis auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht der Klägerin im Übrigen ab.

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 17.05.2018, bekannt gegeben mit Schreiben vom 21.06.2018, als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie an, die Klägerin habe die vorzeitige Beendigung ihrer Ausbildung der Familienkasse nicht mitgeteilt. Hierdurch sei die Rückforderung verursacht worden. Eine sachliche Unbilligkeit sei wegen der Verletzung der Mitwirkungspflicht zu verneinen. Aus demselben Grund sei sie auch persönlich nicht erlasswürdig.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung der Familienkasse vom 17.05.2018 Bezug genommen.

Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin den Erlass der Kindergeldrückforderung vom 08.12.2016. Zur Begründung führt sie aus, sie habe den Abbruch ihrer Ausbildung gegenüber dem Träger der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II umgehend mitgeteilt. Einen ausdrücklichen Hinweis, dass auch die Familienkasse entsprechend zu informieren sei, habe sie, die Klägerin, nicht erhalten. Ein Antrag gegenüber dem Träger der Grundsicherungsleistungen auf Nachzahlung des angerechneten Kindergeldes sei abgelehnt worden.

Die Klägerin trägt weiter vor, nach der BFH-Rechtsprechung käme ein Erlass gemäß § 227 Abgabenordnung (AO) in Fällen der Anrechnung des Kindergeldes auf Leistungen nach dem SGB II in Betracht, wenn dem Kindergeldberechtigten nicht bewusst gewesen sei, dass eine Kommunikation zwischen den Behörden nicht stattfinde. Der Klägerin seien die Konsequenzen aus der Beendigung ihrer Ausbildung in Bezug auf den Wegfall des Kindergeldes nicht bewusst gewesen. Aus dem Umstand, dass auch das zuständige Jobcenter das Kindergeld fortlaufend weiter angerechnet habe, habe sie vielmehr schließen dürfen, dass ihr weiterhin ein Anspruch zustehe. Auch das Jobcenter sei offenbar ebenfalls davon ausgegangen, dass trotz Abbruchs der Ausbildung ein Anspruch auf Kindergeld fortbestehe.

Es bestehe auch eine Unbilligkeit aus persönlichen Gründen, weil sie, die Klägerin, weiter fortlaufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II beziehe und finanziell daher nicht in der Lage sei, die Forderung zu tilgen. Sie sei insoweit in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet. Allein der Schutz durch Pfändungsfreigrenzen sei nicht ausreichend.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.02.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.05.2018 zu verpflichten, die Rückforderung gemäß Bescheid vom 08.12.2016 in voller Höhe zu erlassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, die Voraussetzungen für einen Erlass lägen weder aus sachlichen noch aus persönlichen Gründen vor. Im Fall der Anrechnung von Kindergeld bei Leistungen nach dem SGB II könne zwar unter Umständen ein Erlass aus Billigkeitsgründen gerechtfertigt sein, jedoch sei bei der Entscheidung über den Erlass das Verhalten des Kindergeldempfängers zu berücksichtigen. Ein ...

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