Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzureichende Sachverhaltsaufklärung durch das Finanzamt

 

Leitsatz (redaktionell)

Dem Finanzamt ist eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, wenn die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung der nach § 88 AO bestehenden Ermittlungspflicht schon vor der Steuerfestsetzung hätten bekannt sein können und der Steuerpflichtige den relevanten Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich unterbreitet hat.

 

Normenkette

AO § 173 Abs. 1, 1 Nr. 1, § 173

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.08.2005; Aktenzeichen IV R 9/04)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte (Bekl.) zur Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheides berechtigt war.

Die Kläger (Kl.) sind Eheleute, die im Streitjahr 1996 zur Einkommensteuer (ESt) zusammen veranlagt wurden.

Die Klin. wurde im Wege des Erbfalls 1996 Eigentümerin eines landwirtschaftlichen Betriebes in A. (3,3803 ha). Am 27.12.1996 teilte sie dem Bekl. mit, dass der ererbte Betrieb mit Wirkung zum 01.10.1996 aufgegeben worden sei. Mit Schreiben vom 21.05.1997 teilte sie mit, dass ein vorläufiger Aufgabegewinn in Höhe von 178.493 DM entstanden sei, wobei die zu Grunde gelegten Werte aus einem Wertgutachten des Gutachterausschusses des Kreises B. vom 18.03.1997 stammten.

Im Rahmen der ESt-Erklärung für das Streitjahr 1996, welche am 25.07.1997 abgegeben wurde, erklärte die Klin. einen Aufgabegewinn in Höhe von 198.923 DM. Der Erklärung war das Wertgutachten des Gutachterausschusses im Kreis B. vom 18.03.1997 beigefügt. Für die Bewertung des Verkehrswertes des Grund und Bodens wird in dem Gutachten für den überwiegenden Teil der Grundstücke (22.383 m²) von landwirtschaftlichen Flächen ausgegangen. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgelegten Berechnungen und das Gutachten des Gutachterausschusses Bezug genommen.

Die eingereichte Berechnung trägt den handschriftlichen Vermerk des Sachbearbeiters „nach den vorliegenden Unterlagen erscheint der Aufgabegewinn zutreffend, Namenszeichen, 15.08.1997”.

Mit Bescheid vom 23.09.1997 setzte der Bekl. die ESt 1996 auf 35.355 DM fest, wobei er den Veräußerungsgewinn – wie erklärt – mit 198.923 DM berücksichtigte. Der Bescheid erging wegen verfassungsrechtlicher Zweifelsfragen teilweise vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Abgabenordnung (AO); einen Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO enthält der Bescheid nicht.

Ende Juni 1998 führte das Finanzamt für Betriebsprüfung der Land- und Forstwirtschaft in C. (LBP) eine Betriebsprüfung (Bp) bei der Klin. durch. Dabei wurde festgestellt, dass der überwiegende Teil (2,8233 ha) des landwirtschaftlichen Betriebes mit Vertrag vom 01.07.1997 an die Gemeinde A. zu einem Kaufpreis von 870.000 DM veräußert worden war. Eine entsprechende Veräußerungsmitteilung war durch den beurkundenden Notar am 09.07.1997 an das Finanzamt übersandt worden. Der Betriebsprüfer legte der Berechnung des Aufgabegewinns die tatsächlich erzielten Verkaufserlöse zu Grunde und ermittelte einen Aufgabegewinn von 635.966 DM. Nach seiner Auffassung war der ESt-Bescheid 1996 gemäß § 173 AO änderbar, da die durch den Verkauf hervorgetretenen neuen Wertmaßstäbe als nachträglich bekannt gewordene Tatsachen anzusehen seien.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Bp-Bericht vom 17.09.1998 Bezug genommen.

Der Bekl. folgte der Auffassung des Betriebsprüfers und setzte mit Änderungsbescheid vom 17.11.1998, gestützt auf § 173 Abs. 1 Satz 1 AO, die ESt 1996 auf 149.009 DM fest.

Dagegen legten die Kl. Einspruch ein, den sie damit begründeten, dass bei der Ermittlung des Aufgabegewinns nicht von den Feststellungen des Gutachterausschusses hätte abgewichen werden dürfen und dass die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 173 AO nicht vorgelegen hätten.

Im Laufe des Einspruchsverfahrens teilte die Gemeinde A. dem Bekl. auf Grund eines Auskunftsersuchens u.a. mit, dass der Flächennutzungsplan für das betroffene Gebiet sich nach wie vor im Planungsverfahren befinde und dass ab Ende 1995 vorgesehen gewesen sei, dass das Grundstück der Klin. als Wohnbebauungsfläche ausgewiesen werde. Die Kaufverhandlungen mit der Klin. seien Anfang Juni 1997 aufgenommen worden; Verhandlungen mit dem Rechtsvorgänger der Klin. habe es nicht gegeben.

Der Einspruch blieb überwiegend ohne Erfolg. In der Einspruchsentscheidung (EE) vom 07.02.2000 ermittelte der Bekl. einen Aufgabegewinn in Höhe von 528.875 DM und setzte die ESt auf 120.845 DM fest. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass der ESt-Bescheid zu Recht geändert worden sei, weil die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorgelegen hätten. Als Tatsachen könnten im Streitfall sämtliche die Grundstücke betreffende wertbildenden Umstände angesehen werden. Als nachträglich bekannt gewordene Tatsache sei der mit Beschluss vom 14.12.1995 aufgestellte Flächennutzungsplan für die Gemeinde A. anzusehen, der die gesamte veräußerte Fläche als Bauland vorgesehen habe. Der Veranlagung sei...

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