Entscheidungsstichwort (Thema)

Grenzen einer Änderung wegen neuer Tatsachen

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Änderung nach § 173 Abs 1 S 1 Nr 1 AO 1977 verstößt jedenfalls dann nicht wegen einer Verletzung der dem Finanzamt obliegenden Ermittlungspflicht gegen Treu und Glauben, wenn bei einem steuerlich beratenen Steuerpflichtigen entscheidungserheblich nur die Höhe des gemäß § 3 Nr 9 EStG steuerfrei bleibenden Betrages vor der erstmaligen Veranlagung vom Finanzamt nicht genau aufgeklärt worden ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1, 1 Sätze 1, 1 Nr. 1; EStG § 3 Nr. 9

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 08.02.2002; Aktenzeichen XI R 68/00)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte (Bekl.) berechtigt war, den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1995 gem. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) zu ändern.

Der Kläger (Kl.) war als Arbeitnehmer bei der Firma GmbH & Co. KG beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde im Streitjahr (1995) gegen Zahlung einer Abfindung von brutto 78.003 DM aufgelöst. Ausgehend von einem Freibetrag von 36.000 DM gem. § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und unter Berücksichtigung einer ermäßigten Besteuerung gem. § 34 Abs. 1 EStG wurde dem Kl. der verbleibende Nettobetrag ausgezahlt.

In ihrer Einkommensteuererklärung für 1995 erklärten die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kl. 42.003 DM (= 78.003 DM abzgl. 36.000 DM Freibetrag) als ermäßigt zu besteuernde Entschädigung. Die Kl. wurden zunächst erklärungsgemäß veranlagt. Der Einkommensteuerbescheid erging nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und hinsichtlich der Abfindung auch nicht vorläufig.

In einer 1997 bei der Firma GmbH & Co. KG durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung stellte das Finanzamt fest, daß im Zeitpunkt der Abfindung beim Kl. die Voraussetzungen für die Gewährung eines Freibetrags nach § 3 Nr. 9 EStG in Höhe von 30.000 DM, nicht aber in Höhe von 36.000 DM vorgelegen hatten. Nach einer Prüfungsmitteilung an den Bekl. änderte dieser mit Bescheid vom 02.06.1998, auf den verwiesen wird, nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid und ging dabei von einer um 6.000 DM höheren zu versteuernden Abfindung, nämlich von 48.003 DM, aus.

Der dagegen von den Kl. erhobene Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung des Bekl. vom 28.09.1998, auf die Bezug genommen wird, als unbegründet zurückgewiesen.

Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage tragen die Kl. vor:

Der Bekl. habe den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid nicht mehr ändern dürfen. Die Finanzbehörde habe ihre Ermittlungspflicht verletzt. Sie hätte bei gehöriger Erfüllung der ihr nach § 88 AO obliegenden Ermittlungspflicht schon vor der ursprünglichen Steuerfestsetzung die unzutreffende Behandlung des Steuerfreibetrages feststellen können. Sie, die Kl., hätten der ihnen obliegenden Mitwirkungspflicht dagegen genüge getan. Es seien sämtliche auf dem Vordruck der Einkommensteuererklärüng 1995 geforderten. Angabe vollständig und richtig gemacht worden. Zu ergänzenden Angaben seien sie nicht verpflichtet gewesen. Die erfolgte Änderung des Einkommensteuerbescheides verstoße gegen Treu und Glauben.

Die Kl. beantragen,

  • den geänderten Einkommensteuerbescheid des Bekl. vom 02.06.1998 für 1995 und die Einspruchsentscheidung vom 28.09.1998 aufzuheben, hilfsweise, die Revision zuzulassen,

    und

  • die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Bekl. beantragt,

  • die Klage abzuweisen,
  • hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Er trägt vor: Bei der ursprünglichen Veranlagung der Kl. habe für ihn, den Bekl., kein Grund zu weitergehenden, konkreten Nachfragen und Ermittlungen dazu bestanden, wie der angegebene, ermäßigt zu besteuernde Betrag von 42.003 DM ermittelt worden sei. Der Kl. sei bei einer großen Firma beschäftigt und zudem steuerlich beraten gewesen, so daß er, der Bekl., von der Richtigkeit der Angaben in der Steuerklärung bzw. auf der Lohnsteuerkarte habe ausgehen können. Es habe auch keine Veranlassung bestanden, die Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durchzuführen. Ihm, dem Bekl., sei nicht bekannt gewesen, daß bei dem ehemaligen Arbeitgeber des Kl. irgendwann eine Lohnsteueraußenprüfung habe durchgeführt werden sollen. Die Grenzen der Ermittlungspflicht ergäben sich aus dem Grundsatz der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung sei hier nicht erforderlich gewesen. Würde er, der Bekl., jeden Wert in der Steuererklärung anzweifeln, würde dies die Funktionsfähigkeit der Behörde erheblich einschränken.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene, geänderte Einkommensteuerbescheid des Bekl. vom 02.06.1998 und die Einspruchsentscheidung vom 28.09.1998 sind rechtmäßig und verletzen die Kl. nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).

Der Bekl. hat den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1995 zu Recht nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben o...

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