Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes der Aussetzungszinsen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zu Grunde liegenden Norm setzt die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zu Stande gekommenen Gesetzes zusätzlich voraus, dass ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt.

2. Soweit das BVerfG im Beschluss vom 8. Juli 2021 – 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 – die Vollverzinsung nach § 233a AO ab dem 1. Januar 2014 für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt hat, ergibt sich hieraus kein einfacher Gleichlauf der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Zinshöhe nach § 237 AO, weil die Entstehung von Aussetzungszinsen von einem Verhalten des Steuerpflichtigen abhängt.

3. Der Zweck der Aussetzungszinsen liegt im Gegensatz zur Regelung der Vollverzinsung nicht allein in der Abschöpfung eines Vorteilsausgleichs, sondern die Aussetzungszinsen sollen auch zur Vermeidung unnötiger Prozesse beitragen.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; FGO § 69; AO § 3 Abs. 4 Nr. 4, §§ 233a, 237-238; GG Art. 2 Abs. 1

 

Tatbestand

I.

Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung von Aussetzungszinsen zur Erbschaftsteuer. Er hegt verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe der Aussetzungszinsen.

Der Antragsgegner setzte gegenüber dem Antragsteller mit Bescheid vom 24.03.2021 Aussetzungszinsen zur Erbschaftsteuer in Höhe von insgesamt 15.732 EUR fest. Der zu verzinsende Betrag belief sich auf 82.800 EUR. Er wurde mit 0,5 v. H. pro Monat über einen Zeitraum vom 20.12.2017 bis zum 18.02.2021 verzinst, wobei der Antragsgegner von einem Zinszeitraum von 38 vollen Monaten ausging. Der Antragsgegner erläuterte, der Einspruch gegen die Feststellung des Grundbesitzwertes habe nur teilweise Erfolg gehabt, der Erbschaftsteuerbescheid für den Antragsteller als Erwerber nach Frau S. O. sei geändert worden.

Den gegen den Bescheid vom 24.03.2021 wegen der Höhe des Zinssatzes erhobenen Einspruch wies der Antragsgegner nach Ergehen der Entscheidung des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) mit Einspruchsentscheidung vom 02.09.2022 zurück. Die dagegen am 19.09.2022 erhobene Klage ist unter dem Aktenzeichen 3 K 2249/22 beim Finanzgericht Münster anhängig.

Der Antragsteller beantragte Mitte September 2022 beim Antragsgegner, den angefochtenen Zinsfestsetzungsbescheid von der Vollziehung auszusetzen. Das lehnte der Antragsgegner am 11.10.2022 ab. Zur Begründung führte er aus, es seien keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ersichtlich. Da es um die Frage der Verfassungswidrigkeit eines formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes gehe, sei ein besonderes berechtigtes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung erforderlich, für welches im Streitfall weder Gründe vorgetragen noch anderweitig ersichtlich seien. Überdies sei die Höhe der Aussetzungszinsen (§ 237 der AbgabenordnungAO –) nicht verfassungswidrig. Das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) lediglich über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen entschieden und unter Rz. 242 jenes Beschlusses dargelegt, dass eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich u. a. auf Aussetzungszinsen, nicht in Betracht komme. Anders als bei Nachzahlungs- und Erstattungszinsen sei die Entstehung von Aussetzungszinsen grundsätzlich auf einen Antrag des Steuerpflichtigen zurückzuführen, d. h., er habe die Wahl, ob er den Zinstatbestand verwirkliche und den monatlichen Zinssatz von 0,5 v. H. (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO) hinnehmen wolle. Im Streitfall sei die Aussetzung der Vollziehung auf Antrag des Steuerpflichtigen und nicht von Amts wegen gewährt worden. Mit den Aussetzungszinsen sollten die Zinsnachteile des Steuergläubigers ausgeglichen werden, welcher den Abgabenbetrag nicht bereits bei Fälligkeit, sondern erst nach Beendigung der Aussetzung erhalte. Die vor dem Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) ergangene Rechtsprechung anderer Gerichte sei durch dessen Entscheidung überholt. Insbesondere betreffe das den BFH-Beschluss vom 03.09.2018 (VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279), dessen Begründung angesichts der im BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) aufgezeigten grundlegenden Unterschiede zwischen der Voll- und Teilverzinsung obsolet geworden sei. Der Beschluss des FG Münster vom 31.08.2018 (9 V 2360/18 E, EFG 2018, 1821) habe zwar diese Unterschiede berücksichtigt. Allerdings sei der 9. Senat des FG Münster bei seiner lediglich summarischen Prüfung in nicht nachvollz...

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