Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für Kinder in Polen

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein in Deutschland selbständig tätiger polnischer Staatsbürger gilt nur dann als Selbständiger, wenn er hier zugleich in einem gesonderten Alterssicherungssystem der Selbständigen versicherungs- oder beitragspflichtig oder in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist (Verordnung – EWG – Nr. 1408/71, Anhang I Teil I Buchst. D). Ist dies nicht der Fall bleibt es beim Ausschluss des Kindergeldanspruchs nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG und die Gewährung von Kindergeld richtet sich ausschließlich nach polnischem Recht.

 

Normenkette

EStG § 65; EWGV 1408/71 Art. 4 Abs. 1 Buchst. h. Art. 13; EWGV 574/72 Art. 10 Abs. 1 Buchst. a

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin ist polnische Staatbürgerin und betreibt seit August 2004 in der Bundesrepublik Deutschland eine selbständige gewerbliche Tätigkeit im Bereich der Gebäudereinigung.

Die Klägerin hat eine Tochter, K. (geb. am 18.12.1994). Sie war weder mit dem Vater des Kindes verheiratet, noch erhielt sie Unterhalt. Der Vater ging keiner beruflichen Tätigkeit nach, noch hat er im streitigen Zeitraum Familienleistungen beantragt. K. lebte bis August 2005 bei ihren Großeltern in Polen.

Bis August 2005 erhielt die Klägerin für ihre Tochter Leistungen in Polen. Seit September 2005 lebt K. in Deutschland.

Mit Bescheid vom 08.11.2005 setzte die Familienkasse Kindergeld für K. ab September 2005 fest. Gleichzeitig lehnte sie die Festsetzung von Kindergeld für die Zeit vor September 2005 wegen des Kindergeldanspruchs der Klägerin in Polen ab. Dieser Kindergeldanspruch schließe die Zahlung nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) aus.

Zur Begründung der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen folgendes vor:

Sie begehre das Kindergeld ab August 2004. Am 19.08.2004 habe sie ihr Gewerbe angemeldet. Die Anmeldung bei der Meldebehörde sei ebenfalls am 19.08.2004 erfolgt. Es sei zwar richtig, dass eine vorrangige Leistungspflicht in Deutschland aus der EG-VO Nr. 1408/71 mit der speziellen Konkurrenzregelung des Art. 10 EWG-DVO Nr. 574/72 nicht herzuleiten sei, so dass der Anspruch in Polen den Anspruch in Deutschland nach

§ 65 Abs. 1 EStG ausschließe. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei jedoch diese Regelung mit dem Sinn und Zweck der gemeinschaftlichen Konkurrenzvorschriften nicht vereinbar. Es sei auf die allgemeine Konkurrenzvorschrift des Art. 12. Abs. 2 VO Nr. 1408/71 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der DVO Nr. 574/72 zurückzugreifen. Danach führe der Ausschluss des deutschen Kindergeldes dazu, dass in Deutschland das hälftige Kindergeld zu zahlen sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß

die Familienkasse unter Abänderung des Bescheids vom 08.11.2005 und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 23.03.2006 zu verpflichten, ihr das hälftige Kindergeld für ihre Tochter K. für den Zeitraum vom August 2004 bis August 2005 zu gewähren.

Die Familienkasse beantragt

Klageabweisung.

Die Klägerin könne nicht in mehreren Ländern gleichzeitig Familienleistungen für ihr Kind erhalten. Das hälftige Kindergeld komme nur für den Fall in Betracht, dass der Vater von K. im streitigen Zeitraum – ohne dort erwerbstätig gewesen zu sein – Familienleistungen für K. erhalten hätte. Dies sei jedoch nicht der Fall, da von der zuständigen polnischen Stelle ausdrücklich die Klägerin als Bezieherin der polnischen Familienleistungen für K. im streitigen Zeitraum genannt worden sei.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Einspruchsentscheidung vom 23.03.2006 und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis erklärt, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Klage ist unbegründet.

1. Polen gehört seit dem 01.05.2004 zum Europäischen Wirtschaftsraum. Seitdem gilt für das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern – VO (EWG) 1408/71 – (aktualisierte Gesamtfassung in der Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 02.12.1996 – VO (EG) 118/97 –, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 28 vom 30.01.1997, S. 1, 13) i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21.03.1972 über die Durchführung der VO (EWG) Nr. 1408/71VO (EWG) 574/72 – (aktualisierte Gesamtfassung in der VO (EG) Nr. 118/97, ABlEG Nr. L 28 vom 30.01.1997, S. 1, 106).

1.1 Wer im Gebiet eines Mitgliedsstaates eine selbständige Tätigkeit ausübt, unterliegt zwar den Rechtsvorschriften des Tätigkeitsstaates (Art. 13 Abs. 2 Buchst. b VO (EWG) 1408/71). Ein in Deutschland selbständig tätiger polnischer Staatsangehöriger gilt aber nur dann a...

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