rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Abzweigung des Kindergelds bei Unterhaltsgewährung durch den Sozialleistungsträger

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Abzweigung des Kindergelds an einen Sozialleistungsträger (hier: Landkreis – Kreisjugendamt –) nach § 74 Abs. 1 S. 4 EStG setzt nur voraus, dass dieser Unterhalt gewährt hat, nicht dagegen, dass der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt.

Bei einer Unterbringung von Mutter und Kind in einer gemeinsamen Wohnform (§ 19 SGB VIII) auf Kosten des Sozialleistungsträgers steht einer Abzweigung des Kindergelds daher nicht entgegen, dass die Mutter (teilweise) immateriellen Unterhalt durch Betreuung des Kindes erbringt (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB).

2. Übernimmt der Sozialleistungsträger sämtliche Kosten der Unterbringung von Mutter und Kind in einer gemeinsamen Wohnform, so ist nur die Entscheidung, das Kindergeld in voller Höhe nach § 74 Abs. 1 S. 4 EStG an ihn abzuzweigen, ermessensgerecht (Ermessensreduzierung auf Null).

 

Normenkette

EStG § 74 Abs. 1 S. 4; SGB VIII § 19

 

Tenor

1. Unter Aufhebung der Verfügung vom 22. Februar 2002 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 14. März 2002 wird der Beklagte verpflichtet, an den Kläger das Kindergeld für das Kind A. P. … für die Zeit von Dezember 2001 bis einschließlich Juni 2002 auszuzahlen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger zu Recht verlangt, dass Kindergeld an ihn ausgezahlt wird.

Kläger ist der Landkreis G. Auf Veranlassung des Kreisjugendamtes (KJA) des Landratsamtes (LRA) wurden die am 05. November 1984 geborene P. und ihr am 24. November 2001 geborener Sohn A. ab 06. Dezember 2001 in einem Mutter – Kind – Heim betreut (Mutter – Kind – Heim K.). Dort unterzeichnete Frau P. am 14. Dezember 2001 den Antrag auf Kindergeld für A. und gab als Bankverbindung „Abtretung an LRA – KJA G.” an. Der Antrag mit beigefügter Haushaltsbescheinigung ging am 21. Dezember 2001 beim Beklagten (Arbeitsamt R. –AA–) ein.

Mit Schreiben vom 10. Januar 2002 begehrte das LRA G. – KJA – unter Hinweis darauf, dass die monatlich anfallenden Kosten der Unterbringung im Mutter – Kind – Heim (Maßnahme nach § 19 SGB VIII) vom Landkreis getragen würden und dass Frau P. wegen Leistungsunfähigkeit keinen Kostenbeitrag leisten könne, das Kindergeld für A. an das KJA G. zu erstatten. Beigefügt war eine am 14. Dezember 2001 von Frau P. unterzeichnete Erklärung, in der sie den Beklagten ermächtigt, „dass das anteilige Kindergeld an den Kostenträger – LRA KJA G. – abgezweigt wird”. Weiter heißt es: „Es wird gebeten, die Überweisung an LRA – KJA G. vorzunehmen”.

Der Beklagte lehnte eine Abzweigung des Kindergelds mit Verfügung ohne Datum (nach den Angaben im Rechtsbehelfsschreiben: Verfügung vom 22. Februar 2002) mit dem Hinweis ab, die Mutter leiste für das Kind immateriellen Unterhalt. Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 14. März 2002).

Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen geltend gemacht: Die Kosten von Jugendhilfemaßnahmen wie hier der Maßnahme nach § 19 SGB VIII trage nach § 92 Abs. 1 SGB VIII der Träger der öffentlichen Jugendhilfe – hier: das KJA G.–, soweit Kind und Eltern die Aufbringung der Mittel aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht zuzumuten sei. Eine Heranziehung zu den Kosten erfolge dann – soweit angezeigt – durch Erhebung eines Kostenbeitrags (§ 93 Abs. 1 SGB VIII). Die Kindsmutter Frau P. habe keinerlei eigenes Einkommen und Vermögen. Ihre Heranziehung zum Zweck der Beteiligung an den Kosten sei daher mangels Leistungsfähigkeit nicht möglich.

Die Kosten der Unterbringung beliefen sich für Mutter und Kind zusammen auf ca. 2.600.– bis 2.700.– EUR / Monat. Die Leistungen enthielten sowohl die Unterbringung und Verpflegung als auch die Betreuung von Mutter und Kind. Zusätzlich erhalte die Kindsmutter Fahrtkosten, Bekleidung und Taschengeld. Der größte Teil der Betreuung und Versorgung von A. erfolge nicht durch seine Mutter, sondern durch die Einrichtung, da die Mutter selbst noch Betreuung brauche. Aus dem Bericht der zuständigen Sozialpädagogin gehe hervor, dass Frau P. noch viel Unterstützung bei der Betreuung ihres Kindes benötige.

Die Unterstützung einer Mutter mit einem Kind unter sechs Jahren durch Unterbringung im Rahmen einer gemeinsamen Wohnform sei auf eine vielfältige Förderung beider Generationen gerichtet und steuere einer ungünstigen Persönlichkeitsentwicklung alleinerziehender Elternteile entgegen. Der Grund für den Hilfebedarf ergebe sich aus der retardierten Persönlichkeitsentwicklung von Müttern mit erheblichen persönlichen, familiären und sozialen Schwierigkeiten. Auch Frau P selbst sei früher im Rahmen einer sozialpädagogischen Familienhilfe (§ 31 SGB VIII) und im Rahmen einer Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) betreut worden. Für sie bestehe daher nach wie vor ein erheblicher eigener Betreuungsbedarf. Die Hilfe im Rahmen der gemeinsamen Wohnform für Mutte...

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