Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Klagefrist und Zugangsfiktion des § 1222 Abs. 2 AO
Leitsatz (amtlich)
Bestreitet der Steuerpflichtige einen Verwaltungsakt innerhalb der Dreitagesfrist erhalten zu haben, so hat er substantiiert Tatsachen vorzutragen, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuten und deshalb Zweifel an der Zugangsvermutung begründen.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 2; FGO § 47 Abs. 1
Gründe
I.
Bei der Klägerin – einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung – fand 1991 eine Fahndungsprüfung statt. Aufgrund des Steuerfahndungsberichtes vom 9. Januar 1996 wurden für die Zeiträume 1985 bis 1989 geänderte Umsatzsteuerbescheide erlassen, bei denen jeweils Umsätze zugeschätzt wurden. Diese Bescheide wurden mit einfachem Brief am 19. April 1996 zur Post gegeben.
Die dagegen eingelegten Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom 7. April 1999 (einem Mittwoch) als unbegründet zurückgewiesen. Dem Klägervertreter wurde diese Einspruchsentscheidung mit einfachem Brief bekanntgegeben. Sie trägt den Eingangsstempel des Klägervertreters vom 12. April 1999, einem Montag.
Mit Klage vom 11. Mai 1999 (ein Dienstag), dem Nachtbriefkasten des Finanzgerichts am 12. Mai 1999 mit dem Vermerk „aus dem Behältnis vor 24 Uhr” entnommen, wendet sich die Klägerin gegen die Einspruchsentscheidung. Eine konkrete Begründung der Klage wurde mit Hinweis auf ein noch offenes Verfahren, die Lohnsteuerhaftung betreffend (…), zurückgestellt. In diesem Verfahren ist strittig, ob nicht versteuerte Arbeitslöhne durch die Klägerin in den Streitjahren bezahlt wurden. Aus den streitigen „schwarzen Löhnen” folgerte der Beklagte (das Finanzamt – FA –), dass auch „schwarze Einnahmen” in den Streitjahren vorhanden sein mussten.
Auf Nachfrage des Gerichts vom 1. Februar 2001 führt der Klägervertreter aus:
- •Die Post werde grundsätzlich durch die Post in das Postfach abgelegt und täglich von einer Kanzleimitarbeiterin abgeholt. Die persönliche Übergabe durch den Postboten erfolge nur in Ausnahmefällen, z.B. bei Einschreiben etc.
- •Die Einspruchsentscheidung trage den Eingangsstempel 12.04.1999. Grundsätzlich würden alle Posteingänge von einer erfahrenen und langjährig tätigen Kanzleimitarbeiterin am Tage des Eingangs mit dem Eingangsstempel versehen.
Aus seiner Erfahrung sei es grundsätzlich so, dass nicht alle Schriftstücke des Finanzamtes auch an dem Tag zur Post gegeben werden, an dem sie ausgefertigt werden, bzw. dessen Datum sie tragen.
Ein Fristenkontrollbuch hatte der Klägervertreter für die streitige Zeit nicht geführt.
Das FA trägt vor, der für den Fall zuständige Bearbeiter der Rechtsbehelfstelle bringe seine Post stets persönlich in die Postausgangsstelle. Dies geschehe bis 11 Uhr, da laut Auskunft der Postausgangsstelle Briefe, die vor 11.30 Uhr angeliefert würden, mit Sicherheit noch an diesem Tag von der Post abgeholt würden. Der handschriftliche Vermerk „abgesandt 7. Apr. 1999” bedeute, dass er diese Einspruchsentscheidung am Vormittag (bis 11 Uhr) des 7. April 1999 in die Postausgangsstelle getragen habe. Briefe, die der Bearbeiter am Nachmittag zur Postausgangsstelle bringe, trügen das Datum des nächsten Tages.
Nach Ansicht des Klägervertreters handle es sich bei diesen Ausführungen um eine Behauptung des Finanzamtes, bestenfalls um eine Vermutung. Es sei unwahrscheinlich, dass sich der Bearbeiter des Finanzamtes nach zwei Jahren noch erinnere, wann er einen Brief zur Poststelle getragen habe. Aus den Akten sei nicht ersichtlich, dass der Bearbeiter den Brief persönlich zur Poststelle gebracht habe.
In der mündlichen Verhandlung vom 26. Juni 2001 wurde der Sach- und Streitstand erörtert.
Der Klägervertreter erklärte dabei, dass die Kanzleipost eine Büroangestellte jeweils gegen 9.00 Uhr einerseits vom Postfach und andererseits vom Hausbriefkasten der Kanzlei abhole. Die Post erhalte dann den Eingangsstempel dieses Tages. Das Postfach werde an allen Werktagen geleert, außer an Samstagen und an Sonntagen. Am Samstag werde das Postfach, sofern er nicht im Urlaub sei, von ihm persönlich geleert. Er beantragte, ihm die Möglichkeit zu geben nachzuprüfen, ob er am 10. April 1999 in der Kanzlei gearbeitet und deshalb die Post aus dem Postfach entnommen habe
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift verwiesen.
Mit Schreiben vom 16. Juli 2001 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit, dass nicht der unwiderlegbare Nachweis erbracht werden könne, dass er am Samstag, den 10. April 1999 in den Kanzleiräumen war.
Auf eine weitere mündliche Verhandlung haben die Partein verzichtet (§ 90 Abs. 2 FGO).
II.
1. Die Klage ist unzulässig.
Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf.
Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) als bekanntgegeben am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post...