Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablaufhemmung bei Abgabe einer Nacherklärung/Selbstanzeige während Ermittlungen der Steuerfahndung. Anforderungen an die „Ermittlungsmaßnahmen” der Steuerfahndung i. S. d. § 171 Abs. 5 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung einer Fahndungsprüfung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ist, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird. Die Erkennbarkeit muss sich auf den Sachverhaltskomplex beziehen, der den Gegenstand der Ermittlungen bildet, nicht aber auf die steuerlichen Konsequenzen aus der Umsetzung der Ermittlungsergebnisse. Der Umfang der Ermittlungen der Steuerfahnung kann für den Steuerpflichtigen auch durch eine Einsicht des Steuerberaters in die Akten der Steuerfahndung „erkennbar” werden.

2. Fordert die Steuerfahndung vor Ablauf der Festsetzungsfrist mündlich oder schriftlich Unterlagen beim steuerlichen Vertreter der Steuerpflichtigen an, nimmt sie dadurch Ermittlungshandlungen i. S. d. § 171 Abs. 5 Satz 1 AO vor. Der Umfang der Ablaufhemmung hängt davon ab, auf welche Steueransprüche sich die Prüfung während ihres Verlaufs tatsächlich erstreckt hat. Es kommt nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt innerhalb der Prüfung Ermittlungshandlungen in Bezug auf einzelne Veranlagungszeiträume durchgeführt worden sind.

3. Die Verjährungshemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO greift auch dann, wenn der Steuerpflichtige während der Ermittlungen der Steuerfahndung Einnahmen nacherklärt bzw. eine Selbstanzeige abgibt und die Steuerfahndung letztendlich die Zahlen der Nacherklärung des Steuerpflichtigen übernimmt; § 171 Abs. 5 AO wird nicht etwa von § 171 Abs. 9 AO verdrängt.

4. Der Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 9 AO kommt nicht zum Tragen, wenn die dort vorgesehene Jahresfrist vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist endet. Auch verdrängt diese Regelung grundsätzlich nicht andere Hemmungstatbestände, deren Voraussetzungen vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist verwirklicht wurden.

 

Normenkette

AO § 171 Abs. 5 S. 1, Abs. 9, § 169 Abs. 2 S. 2, §§ 371, 208 Abs. 1 Sätze 2-3, § 93 Abs. 1 S. 2, §§ 153, 378 Abs. 3

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 03.07.2018; Aktenzeichen VIII R 10/16)

BFH (Urteil vom 03.07.2018; Aktenzeichen VIII R 10/16)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob Steuerfestsetzungen wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung noch geändert werden durften.

Mit Schreiben vom 13. Mai 2008 erklärte die Klägerin u.a. für die Streitjahre 1996 und 1997 Erträge aus Vermögensanlagen der … Foundation bei der … Bank in Vaduz (Liechtenstein) nach, welche in den jeweils im Jahr 1998 abgegebenen Steuererklärungen für die Streitjahre und den bis dahin ergangenen Steuerbescheiden (Einkommensteuerbescheid 1996 vom 17. Februar 1998; Einkommensteuerbescheid 1997 vom 17. Dezember 1998 bzw. 14. September 1999) nicht enthalten waren. Es wurden weitere Einkünfte i.H.v. 49.691,31 DM (= 58.105,98 EUR – 8.414,67 EUR) für 1996 und 55.101,03 DM (= 64.207,48 EUR – 9.106,45 EUR) für 1997 nacherklärt. In der Einkommensteuererklärung für 1996 waren lediglich Zinsen aus Guthaben und Einlagen in Höhe von von 10.677 DM und in 1997 Zinsen aus Guthaben und Einlagen in Höhe von 12.863 DM sowie Zinsen aus Bausparguthaben in Höhe von 395 DM erklärt worden. Bereits im Februar 2008 waren Einkünfte der Jahre 2001 bis 2006 im Zusammenhang mit Vermögensanlagen der … Foundation bei der … Bank nacherklärt worden.

Im Wege der Amtshilfe erhielt das Finanzamt für Strafsachen und Steuerfahndung … (Steuerfahndung) im Jahr 2007 Unterlagen („Steuer-CD”), aus denen sich die wirtschaftliche Berechtigung der Klägerin am Vermögen der … Foundation ergab. Die … Foundation wurde im Mai 1995 gegründet und besaß ein Konto bei der … Bank (Nr. …), an welchem wirtschaftlich ausschließlich die Klägerin berechtigt war. In einem Verdachtsprüfungsvermerk vom 30. September 2007 hielt die Prüferin der Steuerfahndung die aus den übermittelten Unterlagen sowie durch die Auswertung der Steuerakten gewonnenen Erkenntnisse (Vorermittlungsergebnis) fest. Auf den Vermerk wird hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen.

Am 2. April 2008 erging ein Prüfungsauftrag der Steuerfahndung, die strafrechtlichen Ermittlungen im Strafverfahren gegen die Klägerin durchzuführen und die Besteuerungsgrundlagen für den Zeitraum 1996-2006 zu ermitteln. Nach dem Einleitungsvermerk gemäß § 397 Abgabenordnung (AO) vom 2. April 2008 war bereits am 4. Januar 2008 durch die Steuerfahndung das Strafverfahren wegen Abgabe unrichtiger Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2002-2006 eingeleitet worden. Laut Gesprächsnotiz der Prüferin vom 7. April 2008 wurde dem Steuerberater der Klägerin, …, die Einleitung des Steuerstrafverfahrens wegen Einkommensteuerhinterziehung 20...

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