Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablaufhemmung wegen Steuerfahndungsprüfung. Anforderungen an die Ermittlungsmaßnahmen der Steuerfahndung. Verhältnis der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO zu anderen Hemmungstatbeständen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung einer Fahndungsprüfung ist, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird.

2. Auskünfte, die die Steuerfahndung vom Steuerpflichtigen einholt, sind Ermittlungsmaßnahmen. Unerheblich ist, ob die Auskünfte mündlich oder schriftlich begehrt werden oder ob das Auskunftsbegehren an den Steuerpflichtigen persönlich oder an seinen Bevollmächtigten adressiert wird.

3. Die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 9 AO kann auch aufgrund einer „Selbstanzeige” eintreten, welche die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1 AO für die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige (noch) nicht erfüllt. Ausreichend für den Beginn der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO ist, dass die angezeigte Steuerverkürzung dem Grunde nach individualisiert werden kann. Dies setzt voraus, dass der Steuerpflichtige Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und den Sachverhalt so schildert, dass der Gegenstand der Selbstanzeige erkennbar wird.

4. Zwar kann der zeitlich auf ein Jahr begrenzte Umfang der Ablaufhemmung, die durch die Erstattung einer Selbstanzeige i. S. d. § 171 Abs. 9 AO ausgelöst wird, durch Steuerfahndungsermittlungen, die erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen wurden, nicht mehr erweitert werden. Der Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 9 AO kommt jedoch nicht zum Tragen, wenn die dort vorgesehene Jahresfrist vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist endet. Auch verdrängt diese Regelung grundsätzlich nicht andere Hemmungstatbestände, deren Voraussetzungen vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist verwirklicht wurden.

 

Normenkette

AO § 171 Abs. 5 S. 1, Abs. 9, 4 S. 2, § 169 Abs. 1-2, § 371

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 03.07.2018; Aktenzeichen VIII R 9/16)

 

Tenor

1. Unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1996 und 1997 vom 11. Juni 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 27. August 2013 wird die Einkommensteuer 1996 auf … EUR und die Einkommensteuer 1997 auf … EUR herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu …, der Beklagte zu ….

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob Steuerfestsetzungen wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung noch geändert werden durften.

Die Kläger sind Ehegatten, die für die Streitjahre zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.

Mit Schreiben vom 13. Mai 2008 erklärten die Kläger u.a. für die Streitjahre 1996 und 1997 Erträge aus Vermögensanlagen der N-Foundation bei der L-Bank in Vaduz (Liechtenstein) und aus dem Nummerndepot Nr. … der S-Bank nach, welche in den jeweils im Jahr 1998 abgegebenen Steuererklärungen für die Streitjahre und den bis dahin ergangenen Steuerbescheiden (Einkommensteuerbescheid 1996 vom 25. Februar 1998 bzw. Änderungsbescheide vom 9. April 1998, 29. November 1999 und 22. Mai 2000; Einkommensteuerbescheid 1997 vom 16. Dezember 1998 bzw. Änderungsbescheide vom 5. Januar 1999, 29. November 1999 und vom 22. Mai 2000) nicht enthalten waren. Es wurden folgende Kapitalerträge nacherklärt:

L-Bank

S-Bank

gesamt

1996

56.307,07 DM

35.621,01 DM

91.928,08 DM

1997

83.550,36 DM

29.996,00 DM

113.546,36 DM

In der Einkommensteuererklärung für 1996 waren keine und in 1997 Zinsen aus Guthaben und Einlagen in Höhe von 10.005 DM sowie Erträge aus Aktien in Höhe von 684 DM erklärt worden. Bereits im Februar 2008 waren Einkünfte der Jahre 2001 bis 2006 im Zusammenhang mit Vermögensanlagen der N-Foundation bei der L-Bank nacherklärt worden.

Im Wege der Amtshilfe erhielt das Finanzamt für Strafsachen und Steuerfahndung (Steuerfahndung) im Jahr 2007 Unterlagen („Steuer-CD”), aus denen sich die wirtschaftliche Berechtigung der Kläger am Vermögen der N-Foundation ergab. Die im Mai 1995 gegründete N-Foundation besaß bei der L-Bank ein Konto (Nr. …), an welchem wirtschaftlich ausschließlich die Kläger berechtigt waren. In einem Verdachtsprüfungsvermerk vom 30. September 2007 hielt die Prüferin der Steuerfahndung die aus den übermittelten Unterlagen sowie durch die Auswertung der Steuerakten gewonnenen Erkenntnisse (Vorermittlungsergebnis) fest. Auf den Vermerk wird hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen.

Am 2. April 2008 erging ein Prüfungsauftrag der Steuerfahndung, die strafrechtlichen Ermittlungen im Strafverfahren gegen die Kläger durchzuführen und die Besteuerungsgrundlagen für den Zeitraum 1996-2006 zu ermi...

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