Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlende Niederschrift der Anwesenheitszeiten eines Gasthörers bei mündlicher Steuerberaterprüfung ist Verfahrensfehler und kann zur Aufhebung der Prüfungsentscheidung führen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Umstand der vollständigen oder auch nur zeitweisen Anwesenheit eines Gasthörers bei der mündlichen Steuerberaterprüfung ist als besonderes Vorkommnis nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 DVStB in der Niederschrift zu protokollieren. Dies gilt wegen des zwingenden Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit der mündlichen Prüfung nach § 14 Abs. 2 S. 1 DVStB, woraus sich ein Anspruch des Prüflings auf Kenntnis des Grundes der Anwesenheit einer unbeteiligten Person ableitet und der erforderlichen Dokumentation der ausdrücklichen Gestattung der Anwesenheit durch den Vorsitzenden nach § 14 Abs. 2 S. 2 und 3 DVStB.

2. Nach dem § 14 Abs. 2 DVStB nach bundesgerichtlicher Rspr. in der Weise zu verstehen ist, dass die Anwesenheit Dritter durch den Vorsitzenden allenfalls während der Prüfung, keinesfalls aber während der Beratung der Prüfer über die Leistungsbewertung der Bewerber gestattet werden darf (vgl. BFH v. 18.9.2012, VII R 41/11), sind in der Niederschrift auch die genauen Anwesenheitszeiten des Gasthörers im Verlauf des gesamten Prüfungsgeschehens festzuhalten.

3. Die unterlassene Dokumentation der Anwesenheit eines Gasthörers während der mündlichen Steuerberaterprüfung kann – abgeleitet aus § 46 VwVfG und § 127 AO – als Verfahrensfehler nur dann zur Aufhebung der Prüfungsentscheidung führen, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass bei Beachtung des richtigen Verfahrens ein besseres Prüfungsergebnis erzielt worden wäre. Auch wenn die fehlende Niederschrift für sich nicht geeignet ist, das Prüfungsergebnis zu beeinflussen, erschwert sie die Beweisführung des Bewerbers hinsichtlich der formellen Ordnungsmäßigkeit des Prüfungsverlaufs. Kann die Beachtung der Grundsätze des § 14 Abs. 2 DVStB nicht aufgeklärt werden, kann die Unvollständigkeit der Niederschrift zur Umkehr der objektiven Beweislast in Bezug auf die Behauptung eines Verfahrensfehlers wegen eines Verstoßes gegen § 14 Abs. 2 DVStB führen.

4. Kann aufgrund der Anwesenheit eines Gasthörers während der Bewertung der Leistungen des Kurzvortrags eines Bewerbers in der mündlichen Steuerberaterprüfung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Verstoß gegen den Grundsatz des Ausschlusses der Öffentlichkeit während der Prüferberatung keinen Einfluss auf die Bewertung der Prüfungsleistung genommen hat, steht dem Bewerber ein Anspruch auf erneute Ableistung des mündlichen Teiles der Steuerberaterprüfung zu.

 

Normenkette

StBerG § 35 Abs. 1 S. 3; DVStB § 14 Abs. 2 S. 1, § 14 Ab S. 3, § 26 Abs. 3 S. 1, § 28 Abs. 1 S. 2, § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; VwVfG § 46; AO § 127

 

Tenor

1.) Die Prüfungsentscheidung des Beklagten vom 15. Februar 2013, nach der die Klägerin die Steuerberaterprüfung 2012 nicht bestanden hat, wird aufgehoben.

2.) Der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin zum Zweck der Wiederholung des mündlichen Teils der Steuerberaterprüfung erneut zur mündlichen Prüfung zu laden.

3.) Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

4.) Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung des Beklagten über das Ergebnis der Klägerin bei der Steuerberaterprüfung 2012.

Die Klägerin ist Steuerfachangestellte und strebt die berufliche Qualifikation als Steuerberaterin an. Mit diesem Ziel unterzog sie sich erfolglos der Steuerberaterprüfung in den Jahren 2009 und 2010. Beim zweiten Wiederholungsversuch im Rahmen der Steuerberaterprüfung 2012 erzielte sie in den drei schriftlichen Aufsichtsarbeiten aus dem Gebiet des Verfahrensrechts, der Ertragsteuer sowie der Buchführung und des Bilanzwesens die Einzelnoten 4,5, 4,0 bzw. 4,5. Aufgrund des sich hieraus ergebenden Notendurchschnitts des schriftlichen Teiles der Steuerberaterprüfung von 4,33 wurde sie mit Bescheid vom 3. Januar 2013 zum Termin zur mündlichen Prüfung am 15. Februar 2013 um 8.00 Uhr geladen. Der für die Klägerin sowie die drei weiteren für diesen Termin zur mündlichen Prüfung bestimmte Prüfungsraum befand sich in M, X-Straße in dem Gebäude X, Raum 000. Die Prüfungskommission für die mündliche Prüfung der Klägerin sowie der drei weiteren Prüflinge setzte sich für diesen Prüfungstermin aus A, B und C als Vertreter der Finanzverwaltung, aus Steuerberater D und Steuerberater E als Vertreter des Berufsstandes sowie aus F als Vertreter der Wirtschaft zusammen. Den Prüfungsvorsitz führte A. Der mündliche Teil der Steuerberaterprüfung bestand aus jeweils einem auf maximal 10 Minuten begrenzten Kurzvortrag der Prüflinge zu einem aus drei Themen von ihnen selbst ausgewählten Einzelthema sowie aus sech...

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