rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuerbefreiung (nach der MwStSystR) der Umsätze einer als Familientherapeutin für Jugendämter tätigen Heilpraktikerin

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für die Leistungen einer Heilpraktikerin, die im Auftrag u. a. von Landratsämtern als Familientherapeutin für verschiedene Jugendämter im Wesentlichen organische, neurotische und symptomatische Störungen sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen behandelt und im Rahmen der Eingliederungshilfe gem. den Vorschriften der §§ 27, 35 a SGB VIII (Fassung des Jahres 2008) direkt mit den jeweiligen Landrats- und Kreisjugendämtern abrechnet, kann die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystR (Richtlinie 2006/112/EG) in Anspruch genommen werden.

2. Für die Inanspruchnahme der – im UStG bisher nicht vollständig umgesetzten – Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL genügt es, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar zum einen, dass es sich um Leistungen handelt, die mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind, und zum anderen, dass diese Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden.

3. Im Streitfall kommt es somit nicht darauf an, ob sich die Klägerin auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG berufen kann.

 

Normenkette

UStG 2008 § 4 Nr. 14 S. 1; Richtlinie 2006/112/EG Art. 132 Abs. 1 Buchst. g; Heilpratktikergesetz § 1 Abs. 2

 

Tenor

1. Der Umsatzsteuerbescheid vom 10. Dezember 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2010 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die Klägerin mit ihrer Tätigkeit als Familientherapeutin steuerfreie Umsätze erzielt.

Die Klägerin ist ausgebildete Familien- und Gestalttherapeutin und als solche befähigt, phasische Paar-, Familien- und Einzeltherapie selbständig durchzuführen. Mit Bescheid vom 23. Juni 1999 wurde ihr vom Landratsamt M die Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung ausschließlich auf dem Gebiet der Psychotherapie erteilt.

Im Streitjahr war die Klägerin ausschließlich als Familientherapeutin für verschiedene Jugendämter beschäftigt und behandelt im Wesentlichen organische, neurotische und symptomatische Störungen sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Die Beauftragung erfolgte durch Landratsämter und Sozialbürgerhäuser, insbesondere wurde sie im Streitjahr für das Landratsamt E tätig. Die erbrachten Leistungen rechnete die Klägerin direkt mit den jeweiligen Landrats- und Kreisjugendämtern ab. Die Jugendämter erstatteten die Kosten auf Anträge der Eltern gemäß den Vorschriften der §§ 27, 35 a des Sozialgesetzbuchs Achtes Buch in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung (SGB VIII).

Für das Streitjahr 2008 hatte die Klägerin keine Umsatzsteuererklärung abgegeben. Das Finanzamt (FA) schätzte daraufhin die Besteuerungsgrundlagen unter Berücksichtigung der in der Einkommensteuer erklärten Einnahmen, da es davon ausging, dass die von der Klägerin erbrachten Leistungen nicht steuerfrei seien. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2009 wurde die Umsatzsteuer auf 5.792,98 EUR festgesetzt.

Im dagegen gerichteten Einspruchsverfahren trug die Klägerin vor, dass sie eine heilberufliche Tätigkeit im Sinne es § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr gültigen Fassung (UStG) ausübe. Im Übrigen könne sie sich auf die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 ABl EG Nr. L 347/1 vom 11. Dezember 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRl) berufen.

Der Einspruch hatte nur teilweise Erfolg. Mit Entscheidung vom 13. Oktober 2010 erhöhte das FA die abzugsfähigen Vorsteuern auf 800 EUR und setzte die Umsatzsteuer auf 5.192,98 EUR herab. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Mit ihrer hiergegen eingelegten Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter. Bei der Familientherapie handele es sich um einen psychotherapeutischen Behandlungsweg mit dem Ziel, Interaktionen zwischen einem Paar, in einer Kernfamilie, in einer erweiterten Familie oder zwischen einer Familie und anderen interpersonellen Systemen dahingehend zu verändern, dass bestehende Probleme einzelner Familienmitglieder, Probleme von Familiensubsystemen oder der Gesamtfamilie geheilt oder gelindert werden. Sie erbringe somit die Leistungen einer Heilpraktikerin für Psychotherapie. Auch das Finanzgericht Köln habe mit Urteil vom 19. Januar 2006 festgestellt, dass diese Umsätze als steuerfrei einzustufen seien. Ihre Rechtsauffassung werde zudem vo...

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