Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorläufige Steuerfestsetzung. Wegfall der Ungewissheit. unterlassene Berücksichtigung innerhalb der nach § 171 Abs. 8 AO verlängerten Festsetzungsfrist. keine spätere Berücksichtigung als rückwirkendes Ereignis. Anwendungsbereich der Anlaufhemmung in § 175 Abs. 1 Satz 2 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Ungewissheit darüber, ob der Steuerpflichtige das auf einem Erbbaugrundstück geplante Gebäude zu eigenen Wohnzwecken nutzen wird, endet mit Aufhebung des Erbbaurechtsvertrags und Rückgabe des Grundstücks an den Eigentümer.

2. War der Einkommensteuerbescheid wegen der in Leitsatz 1 genannten Ungewissheit für vorläufig erklärt worden, und versäumt es das Finanzamt, innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 8 Satz 1 AO die steuerlichen Folgen aus der Vertragsaufhebung zu ziehen, so kann es dies später nicht mehr auf der Grundlage von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO als rückwirkendes Ereignis nachholen.

3. Die Anlaufhemmung des § 175 Abs. 1 S. 2 AO gilt nach Wortlaut und systematischer Stellung nur für Bescheidänderungen, die auf § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO gestützt werden.

 

Normenkette

AO 1977 § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. d, § 165 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2, § 171 Abs. 8 S. 1; EStG 1990 § 10e Abs. 6

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 10.05.2007; Aktenzeichen IX R 30/06)

 

Tenor

1. Die Einkommensteuerbescheide vom 10. Dezember 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. März 2004 werden dahingehend abgeändert, dass die ESt

für 1994 auf …,

für 1995 auf …,

für 1996 auf …,

für 1997 auf …,

für 1998 auf … und

für 1999 auf … herabgesetzt wird.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 34 % und der Beklagte zu 66 %.

4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob das FA zu Unrecht Vorkosten nach § 10e Einkommensteuergesetz (EStG) und vergebliche Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung nicht anerkannt hat.

I.

Die Klägerin zu 1) (Klin) und der am 27. Oktober 2000 verstorbene W wurden als Ehegatten in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. W wurde von der Klin und seinen beiden Söhnen Fund M (den Klägern zu 2) und 3)) beerbt.

Die Ehegatten machten im Zusammenhang mit dem im Erbbaurecht erworbenen Objekt M, Vorkosten (Schuldzinsen, Erbbauzinsen, Grundsteuer) gemäß § 10e Abs. 6 EStG geltend, die der Beklagte (das Finanzamt –FA–) im folgenden Umfang anerkannte:

Jahr

Betrag

Bescheid vom

1994

1.621 DM

05.01.1996

1995

3.634 DM

19.03.1997

1996

2.933 DM

16.05.2000

1997

4.222 DM

16.05.2000

1998

3.072 DM

16.05.2000

1999

3.103 DM

28.09.2001

Alle Bescheide ergingen teilweise vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 und Abs. 2 Abgabenordnung (AO). Die Erläuterungen erhielten jeweils folgenden Hinweis bzw. nahmen Bezug auf diesen Hinweis in vorangegangenen Bescheiden: „Der Bescheid ist vorläufig hinsichtlich der Schuldzinsen und anderer Aufwendungen i. S. des § 10e Abs. 6 EStG, weil die Wohnung noch nicht zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird.” Mit notariellem Vertrag vom 07. Februar 2001 wurde das Erbbaurecht mit der Gemeinde X aufgehoben und das Grundstück an die Gemeinde zurückgegeben. Mit Änderungsbescheiden vom 10. Dezember 2003 versagte das FA die Anerkennung des Vorkostenabzugs. Das FA stützte die Änderungsbescheide auf § 165 Abs. 2 S. 1 AO und erklärte sie gemäß § 165 Abs. 2 S. 2 AO mit Ausnahme der im Abschnitt Erläuterungen genannten Punkten für endgültig. In den Erläuterungen wurde darauf hingewiesen, dass Aufwendungen im Zusammenhang mit nicht realisierten Bauvorhaben (egal aus welchen Gründen) nicht nach § 10e Abs. 6 EStG abgezogen werden können. Die Steuer wurde auf … DM (1994), … (1995), … DM (1996),… DM (1997), … (1998) und … DM (1999) festgesetzt. Den hiergegen von den Klägern eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 25. März 2004 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, zu deren Begründung die Kläger im Wesentlichen Folgendes geltend machen:

Eine Änderung nach § 165 Abs. 2 AO sei für die Veranlagungszeiträume 1994-1997 wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr möglich gewesen. Eine Änderung nach § 175 Abs. 1 S. 2 AO sei nur aufgrund solcher Umstände möglich, die sich nach Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks ereignen. Zudem stelle die Aufhebung des Erbbaurechts kein rückwirkendes Ereignis dar.

Die geltend gemachten Aufwendungen stellten zu 80 % Vorkosten im Sinne des § 10e EStG und zu 20 % vergebliche Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung dar. Es sei beabsichtigt gewesen, auf dem im Erbbaurecht erworbenen Grundstück ein Gebäude zu errichten, das zu 20 % für Bürozwecke vermietet und zu 80 % für eigene Wohnzwecke genutzt werden sollte. Das Bauvorhaben sei nach rechtlichen Auseinandersetzungen mit den zuständigen Baube...

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