Entscheidungsstichwort (Thema)

Abzweigung des vollen Kindergeldes an den Sozialhilfeträger bei Heimunterbringung des schwerbehinderten Kindes und Unterhaltsbeitrag der Eltern von nur 26 EUR. Der Abzweigung des Kindergeldes an eine Unterhalt gewährende Stelle steht nicht entgegen, dass der Kindergeldberechtigte Unterhalt nach § 91 Abs. 2 BSHG leistet. Der Umfang der Unterhaltsgewährung ist bei der Ausübung des Ermessens nach § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG zu berücksichtigen. Kindergeld-Abzweigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Trägt der Sozialhilfeträger die Kosten der Heimunterbringung des schwerbehinderten, vollstationär untergebrachten Kindes (rd. 2800 EUR) und leisten die Eltern nur einen Unterhaltsbeitrag von 26 EUR nach § 91 Abs. 2 BSHG, ohne ansonsten noch Kontakt zu dem Kind zu haben, so ist aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null die Abzweigung des vollen Kindergeldes an den Sozialhilfeträger die allein zutreffende rechtmäßige Entscheidung.

2. § 74 Abs. 1 S. 4 EStG setzt weder voraus, dass der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt, noch dass die Leistungen der Unterhalt gewährenden Stelle den gesamten existenziellen Lebensbedarf des behinderten Kindes decken müssen. Der Umfang der Unterhaltsgewährung ist aber bei der Ausübung des Ermessens nach § 74 Abs. 1 S. 4 EStG zu berücksichtigen.

3. Die Sonderregelung des § 74 Abs. 1 S. 3 EStG ist auch bei Auszahlung des Kindergeldes an andere Personen oder Stellen anzuwenden.

 

Normenkette

EStG 2002 § 74 Abs. 1 Sätze 1, 3-4; BSHG § 91 Abs. 2; FGO § 102; BGB § 1610 Abs. 2; AO § 5; SGB I § 48

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 17.11.2004; Aktenzeichen VIII R 30/04)

BFH (Urteil vom 17.11.2004; Aktenzeichen VIII R 30/04)

BFH (Beschluss vom 06.05.2004; Aktenzeichen VIII B 312/03)

 

Tenor

1. Unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Juli 2002 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2002 wird der Beklagte verpflichtet, ab März 2002 das Kindergeld für … an den Kläger zu zahlen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger zu Recht verlangt, dass Kindergeld an ihn ausbezahlt wird.

Kläger ist das … amt A. Der am … 1954 geborene B ist seit 1975 schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100. Er ist vollstationär in den …-Anstalten C untergebracht. A leistet als Kostenträger für die Eingliederungshilfe nach §§ 39,40 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ab Januar 2002 Kosten der Unterkunft in Höhe von 68,08 EUR täglich, Taschengeld in Höhe von 86,41 EUR monatlich, Werkstattkosten in Höhe von 17,87 EUR täglich sowie als Nebenkosten Bekleidungsbeihilfe in Höhe von 23 EUR monatlich und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.100 EUR jährlich. Der Vater von B, der zu B keinerlei Kontakt mehr hat, leistet seit 1. Januar 2002 gemäß § 91 Abs. 2 BSHG Unterhalt in Höhe von 26 EUR.

Mit Schreiben vom 22. März 2002 beantragte der Kläger bei der Agentur für Arbeit D –AA– (Beklagter) die Abzweigung des Kindergeldes für B an sich nach § 74 Abs. 1 EStG wegen laufend gewährter Eingliederungshilfe in Höhe von ca. 2.800 EUR monatlich. Der Vater von B beantragte auf Veranlassung der AA am 17. Mai 2002 für B Kindergeld, das ihm mit Bescheid vom 4. Juli 2002 rückwirkend ab Januar 1998 gewährt wurde. Den Antrag des Klägers auf Abzweigung des Kindergeldes lehnte die AA mit Bescheid vom 4. Juli 2002 ab, weil dem Kläger von dem unterhaltsverpflichteten Vater Unterhalt gewährt werde. Den hiergegen erhobenen Einspruch wies die AA mit Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2002 als unbegründet zurück.

Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Den notwendigen Unterhalt des unterhaltsberechtigten B stelle der Kläger durch die Gewährung von Eingliederungshilfe für Behinderte bei vollstationärer Unterbringung sicher. Eine Abzweigung komme nur dann nicht in Betracht, wenn die Eltern eines „untergebrachten” Kindes dieses regelmäßig (z.B. an Wochenenden, Feiertagen, Ferien) in den elterlichen Haushalt holten und dort betreuten. Nur der Besuch im Heim erfülle nicht die Voraussetzungen einer Unterhaltsgewährung. Im vorliegenden Fall bestehe nach der Stellungnahme der …-Anstalten C zwischen B und seinem Vater keinerlei Kontakt, die Mutter von B sei 1995 verstorben. Auch bei Zahlung einer Unterhaltsleistung von 26 EUR bleibe regelmäßig eine partielle Unterhaltspflichtverletzung der Eltern im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und des EStG bestehen. Die Neuregelung des § 91 Abs. 2 BSHG zum 1. Januar 2002 berühre die Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer Abzweigung nach § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG nicht. § 91 BSHG befasse sich losgelöst von zivilrechtlichen Maßstäben auf Grund des Nachranggrundsatzes mit der sozialhilferechtlichen Beurteilung der Unterhaltsverpflichtung Dritter. Auch sage die sozialhilferechtliche Inanspruchnahme Dritter nichts über den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch aus, der in jedem Falle bestehen bleibe.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2002 d...

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