Entscheidungsstichwort (Thema)

Billigkeitserlass einer Kindergeld-Rückforderung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine ermessensfehlerhafte Ablehnung eines Erlasses einer Kindergeld-Rückforderung unterliegt ausnahmsweise nicht der bloßen Kassation, wenn durch die Sachlage des Einzelfalls die Ermessensgrenzen so eingeengt sind, dass nur der begehrte Billigkeitserweis ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null).

2. Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist anzunehmen, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zu Grunde liegenden Gesetzes nicht mehr zu rechtfertigen ist oder dessen Wertungen zuwiderläuft.

3. Bei der Wertentscheidung, ob der Empfänger von zu Unrecht gewährtem Kindergeld das Risiko zu tragen hat, dass für die Vergangenheit keine Korrekturmöglichkeit besteht und er deshalb rückwirkend vom Familienleistungsausgleich ausgeschlossen wird, ist von Belang, ob der Kindergeldempfänger seinen besonderen Mitwirkungspflichten im Kindergeldverfahren entsprochen hat, wonach der Kindergeldberechtigte relevante Änderungen der Familienkasse mitzuteilen hat.

4. Eine nur fahrlässige Mitwirkungspflichtverletzung des Antragstellers im Kindergeldverfahren (z.B. die unwissentlich unzutreffende Angabe zu einem ggf. vorrangig Kindergeldberechtigten) kann im Rahmen der gebotenen Abwägung dazu führen, dass ein nahezu vollständiger, rückwirkender Ausschluss des Kindergeldberechtigten vom Familienleistungsausgleich über mehrere Jahre unverhältnismäßig schwer wiegen würde.

 

Normenkette

AO §§ 5, 85, 227; EStG § 68 Abs. 1; FGO § 102 S. 1; GG Art. 3

 

Nachgehend

BFH (Aktenzeichen III R 24/22)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob im Streitfall die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Billigkeitserlass einer Kindergeld-Rückforderung gegeben sind.

Der Kläger ist der Vater des am …2000 in Z geb. Kindes A und als Beamter (Volljurist, elektronische Gerichtsakte – GA – Bl. 34) bei der C in Y tätig. Im gemeinsamen Haushalt lebt auch die Kindesmutter, eine X Staatsangehörige.

Zunächst hatte die Kindesmutter das Kindergeld für A anlässlich des Umzugs der Familie von Z nach Y beantragt. Im Mai 2006 beantragte der Kläger die Auszahlung des Kindergeldes für Angehörige des öffentlichen Dienstes (Berechtigtenwechsel). Aufgrund Bewilligungsbescheides vom 13.6.2006 erhielt der Kläger das Kindergeld ab Juni 2006 vom seinerzeit zuständigen … – Bundesfamilienkasse gemeinsam mit seinen Beamtenbezügen ausgezahlt (Kg-Akte Bl. 8, 12). Diese wandte sich auch mit Schreiben vom 29.8.2006 an den Kläger mit der Bitte um Bestätigung (§ 68 EStG), dass A nach wie vor in seinem Haushalt lebe und sich an der Berechtigtenbestimmung nichts geändert habe (Kg-Akte Bl. 15).

Seit Dezember 2006 ist die Kindesmutter als Mitarbeiterin bei den B im B1beschäftigt (GA G Bl. 60). Aus einem vom Kläger vorgelegten Fragebogen ergibt sich weiter, dass die Kindesmutter am 25.2.2008 gegenüber den B und auch in den Folgejahren (Kg-Akte Bl. 77 ff.) „Dependency Benefits” für den gemeinsamen Sohn geltend gemacht hat. Dies war allerdings angesichts des Kindergeldbezugs durch den Kläger nicht erfolgreich (B-Bestätigungen vom 14.8.2018, Kg-Akte Bl. 47, vom 24.9.2018, Kg-Akte Bl. 54 und vom 24.10.2018, Kg-Akte Bl. 80, GA Bl. 167), wie der Kläger mit unbestrittenen Angaben per E-Mail vom 15.12.2018 erklärt hat (Kg-Akte Bl. 71).

Mit weiterem Schreiben des … – Bundesfamilienkasse vom 13.10.2008 (GA G Bl. 31) wurde der Kläger über eine „Änderung bei der Kindergeldauszahlung” informiert. Nach Änderung des § 72 EStG sei auch den öffentlich-rechtlichen Familienkassen die Auszahlung des Kindergeldes unabhängig von der Zahlung der Bezüge möglich. Die Bundesfamilienkasse werde das Kindergeld daher ab Dezember 2008 mit gesonderter Überweisung zahlen, fortan also nicht mehr gemeinsam mit den Beamtenbezügen, sondern gesondert durch das … als Familienkasse. Bei rechtzeitiger Anzeige von Veränderungen (etwa einem Haushaltswechsel) könne die Kindergeldzahlung zeitnah eingestellt und damit eine spätere Rückzahlung vermieden bzw. verringert werden. Über einen modernen Datenaustausch gewährleiste die Bundesfamilienkasse den Informationsfluss zur Dienststelle, damit dort über die an den Kindergeldanspruch gekoppelten Leistungen zeitnah entschieden werden könne.

In der Folgezeit wurde der Kläger vom … als Bezügestelle angeschrieben (Prüfung der Anspruchsberechtigung für die Zahlung des Familienzuschlags vom 21.05.2010) und auch vom … als Bundesfamilienkasse (Überprüfung der Haushaltszugehörigkeit vom 4.6.2012; Rückantwort des Klägers vom 9.10.2012 mit Bestätigung der Haushaltszugehörigkeit, Kg-Akte Bl. 13, 37 ff.). Außerdem bezieht sich der Kläger auf seine der Klage im Verfahren …K …/19 als Anl. K6 beigefügte und über die Hauspost an die Bezügestelle gereichte Erklärung vom 13.6.2010 (GA G Bl. 39), ausweislich derer er im Verfahren betreffend den Familienzuschlag bereits im Jahr 2010 ...

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