Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld bei Ausgewiesenen

 

Leitsatz (redaktionell)

§ 62 Abs. 2 EStG idF vom 13.12.2006 erfasst auch Fälle, in denen das Kindergeld am 1.1.2006 noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist.

 

Normenkette

BKGG § 1 Abs. 3; EStG § 62 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 30.07.2009; Aktenzeichen III R 58/07)

BFH (Urteil vom 30.07.2009; Aktenzeichen III R 58/07)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Kindergeld für seine Kinder L (geboren 13.9.1982), B (26.4.1985), M (21.4.1986) und D (31.5.1994) zusteht. Die Kinder lebten unstreitig zumindest bis Dezember 2004 im Haushalt des Klägers. Für L und B liegen Bescheinigungen vor, woraus sich eine Kindergeldberechtigung ohne den hier streitigen Punkt über das 18. Lebensjahr hinaus ergeben.

Der Kläger ist palästinensischer Abstammung und staatenlos. Er lebt seit mindestens dem Jahr 2000 in Deutschland und verfügte zunächst über eine Aufenthaltsbefugnis. Seit dem 15.3.2005 verfügt er über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz; danach ist eine Beschäftigung jeder Art erlaubt.

Der Kläger beantragte erstmalig am 5.10.2001 Kindergeld für alle Kinder. Dieser Antrag wurde mit Verfügung vom 31.1.2002 bestandskräftig abgelehnt. Am 29.11.2002 beantragte der Kläger nur für L Kindergeld, was mit Verfügung vom 2.1.2003 bestandskräftig abgelehnt wurde.

Schließlich beantragte der Kläger am 31.3.2005 Kindergeld für alle vorgenannten Kinder. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Verfügung vom 19.4.2005 ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 27.1.2006 zurück.

Mit der Klage beantragt der Kläger,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 19.4.2005 und der Einspruchsentscheidung vom 27.1.2006 zu verpflichten,

  1. das Kindergeld für L von Februar 2003 und für B, M und D ab März 2002 bis Dezember 2004 zu gewähren,
  2. im Übrigen über den Kindergeldanspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Senat hat die Zeiträume ab Januar 2005 abgetrennt und das Verfahren insoweit ausgesetzt.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist insgesamt zulässig und begründet. Dem Kläger steht das beantragte Kindergeld zu, weil seine Ausweisung auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist und er sich seit über einem Jahr berechtigt in der BRD aufhält.

I. Die Kindergeldberechtigung des Klägers ergibt sich aus § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996, der vor dem Hintergrund des BVerfG-Beschlusses vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) entgegen seinem Wortlaut einschränkend dahin auszulegen ist, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1 Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten.

1. Entgegen den Ausführungen des BFH in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03 (auf der Homepage des BFH erschienen am 9. Mai 2007) lehnt der erkennende Senat die Anwendung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG vom 13. Dezember 2006 auf den Streitfall ab, weil er deren Erstreckung auf Altfälle durch die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG für verfassungsrechtlich unzulässig hält.

a) Gemäß § 62 Abs. 2 EStG, der durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (AuslAnsprG – BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) an die Systematik der Aufenthaltstitel nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (AufenthG – BGBl I 2004, 1950) angepasst worden ist, hängt die Kindergeldberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern, denen lediglich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt worden ist (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG) davon ab, dass sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sind, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG).

b) Die Regelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten, erfasst aber darüber hinaus alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld – wie auch im Streitfall – noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG). Wegen der Anknüpfung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG an die Aufenthaltstitel nach den AufenthG einerseits und wegen der rückwirkenden Erstreckung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2005 verwirklichte Sachverhalte (Altfälle) andererseits, in denen sich die Aufenthaltstitel noch nach dem AuslG richteten, müsste nach dies...

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