Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährung Rückforderung von Ausfuhrerstattung

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft werden gemäß Art. 234 Abs. 2 EGV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verstößt eine analoge Anwendung der Verjährungsvorschrift des § 195 BGB in der bis zum Ende des Jahres 2001 geltenden Fassung auf Rückforderungsansprüche wegen zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattung gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit?

Verstößt die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB bei Rückforderung von zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattung gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit?

Wenn die Frage zu 2) zu bejahen ist: Verstößt die Anwendung einer im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 längeren nationalen Verjährungsfrist, die in richterlicher Rechtsfortbildung aufgrund einer angenommenen Notkompetenz im Einzelfall festgelegt wird, gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit?

 

Normenkette

EGVO 2988/95 Art. 3 Abs. 1, 3; BGB a.F. § 195

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 05.05.2011; Aktenzeichen C-201/10, C-202/10)

 

Tatbestand

I. Sachverhalt und Prozessverlauf

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte von der Klägerin im Juli 2003 gewährte Ausfuhrerstattung zu Recht mit Bescheid vom 13.12.1999 zurückgefordert hat.

Die Klägerin ließ im Jahr 1993 Rindfleisch zur Ausfuhr nach Jordanien abfertigen. Anfang 1998 durchgeführte Prüfungen sollen ergeben haben, dass die fraglichen Mengen in Wirklichkeit im Transit- oder Reexportverfahren in den Irak befördert worden waren. Das Hauptzollamt forderte deshalb mit Bescheid vom 13.10.1999 die gewährte Ausfuhrerstattung zurück.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage zum Finanzgericht Hamburg. Der Senat gab der Klage mit Urteil vom 21.04.2005 mit der Begründung statt, dass die Verjährung gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 der Rückforderung entgegenstehe, da diese mehr als vier Jahre nach der streitigen Ausfuhr geltend gemacht worden sei.

Der Beklagte legte gegen die Entscheidung des Finanzgerichtes Revision zum Bundesfinanzhof ein.

Der Bundesfinanzhof setzte das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

Ist die in Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist auch dann anzuwenden, wenn eine Unregelmäßigkeit begangen oder beendet worden ist, bevor diese Verordnung in Kraft getreten ist?

Ist die dort geregelte Verjährungsfrist auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Rückforderung von Unregelmäßigkeiten gewährter Ausfuhrerstattung überhaupt anwendbar?

Falls diese Frage zu bejahen sein sollte:

Kann eine längere Frist gemäß Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 von einem Mitgliedsstaat auch dann angewandt werden, wenn eine solche längere Frist in dem Bereich des Mitgliedstaates bereits vor Erlasses der vorgenannten Verordnung vorgesehen war? Kann eine solche längere Frist auch dann angewandt werden, wenn sie nicht in einer spezifischen Regelung für die Rückforderung von Ausfuhrerstattung oder für verwaltungsrechtliche Maßnahmen im Allgemeinen vorgesehen war, sondern sich auf einer allgemeinen, alle nicht speziell geregelten Verjährungsfälle umfassenden Regelung des betreffenden Mitgliedstaats (Auffangregelung) ergab?

Mit Urteil vom 29.01.2009 bejahte der EuGH (verbundene Rechtssachen C 278/07bis C 280/07) die ersten beiden Vorlagefragen. Die dritte Vorlagefrage beantwortete der EuGH wie folgt:

"Die längeren Verjährungsfristen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft weiterhin anwenden dürfen, können sich aus Auffangregelungen ergeben, die dem Erlass dieser Verordnung vorausgingen. Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 kann nämlich nicht dahin ausgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen dieser Bestimmung die betreffenden längeren Verjährungsfristen in spezifischen und/oder sektorbezogenen Regelungen vorsehen müssten."

Mit Urteil vom 07. Juli 2009 (VII R 24/06) hob der BFH das Urteil des Senates vom 21. April 2005 (IV 181/03) mit der Begründung auf, dass der Rückzahlungsanspruch bei Erlass des angefochtenen Bescheides nicht verjährt gewesen sei, und verwies die Sache an das Finanzgericht Hamburg zurück. Der BFH vertrat dabei die Rechtsauffassung, dass § 195 BGB in der bis Ende des Jahres 2001 geltenden Fassung (nachfolgend § 195 BGB a. F.) analog anzuwenden sei. Er ließ dahinstehen, ob der Grundsatz der Rechtssicherheit bei der Rückforderung von Ausfuhrerstattung nach einer Frist von fast 30 Jahren seit Gewährung derselbigen verletzt wäre. Wenn das der Fall wäre, dann könne er (der BFH) in der verfassungs- oder gemeinschaftsrechtlich gebotenen Weise in Ausübung richterlicher Notkompetenz eine unangemessen lange Frist des nationalen Rechts auf das angemessene Maß verkürzen. Ob in Ausübung einer solchen richterlichen Notko...

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