Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Verbot nachträglicher Erweiterung des Antrags auf Realsplitting. Zulässigkeit nachträglicher Erweiterung des Antrags auf Realsplitting nach Unanfechtbarkeit des Einkommensteuerbescheides

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die nachträgliche Erweiterung des zuvor betragsmäßig begrenzten Antrags des Unterhaltsleistenden auf Durchführung des Realsplittings mit entsprechend geänderter Zustimmungserklärung des Unterhaltempfängers stellt ein rückwirkendes Ereignis dar, das die Bestandskraft bereits ergangener Steuerbescheide durchbricht.
  2. Nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck lässt sich § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG ein Verbot der betraglichen Erweiterung des Antrags nach Ergehen des Steuerbescheids nicht entnehmen.
 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1; AO § 175 Abs. 1 Nr. 2

 

Streitjahr(e)

1995, 1996, 1997, 1998

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 28.06.2006; Aktenzeichen XI R 32/05)

 

Tatbestand

Der in zweiter Ehe verheiratete Kläger leistete in den Streitjahren Unterhaltszahlungen in Höhe von 27.000 DM an seine erste Ehefrau S. Er beantragte - unter Verwendung der Anlage „U” - für 1995 bis 1998 den Abzug von Unterhaltszahlungen in Höhe von 12.000 DM jährlich als Sonderausgaben. Dem Beklagten (FA) lag ab dem Kalenderjahr 1990 eine Zustimmungserklärung der ersten Ehefrau zum Abzug der Unterhaltszahlungen als Sonderausgaben vor. Das FA gewährte den Sonderausgabenabzug durch Steuerbescheide vom 17.04.1996 (1995), 28.04.1997 (1996), 06.12.1999 (1997) und vom 07.12.1999 (1998) antragsgemäß.

Mit Schreiben vom 20.01.2001 beantragten die Kläger nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) einen Sonderausgabenabzug in Höhe von jährlich 27.000 DM.

Das FA lehnte eine Änderung der Bescheide ab. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und beriefen sich nunmehr auf § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Daraufhin haben die Kläger Klage erhoben. Sie sind der Auffassung, eine Erweiterung des Antrags auf Abzug von Unterhaltszahlungen als Sonderausgaben stelle ebenso ein rückwirkendes Ereignis dar, wie eine spätere erstmalige Antragstellung. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 12.07.1989 (X R 8/84, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1990, 957) entschieden, dass letztere steuerliche Wirkung für die Vergangenheit habe.

Die Kläger haben geänderte Anlagen „U” mit einer entsprechenden Zustimmungserklärung der S ab 1995 zum Abzug der Unterhaltsaufwendungen als Sonderausgaben eingereicht. Sie haben Kontoauszüge vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass der Kläger Unterhaltszahlungen in Höhe von 27.000 jährlich geleistet hat.

Die Kläger beantragen,

den Ablehnungsbescheid vom 15.04.2002 und die Einspruchsentscheidung vom 06.11.2002 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide für 1995 bis 1998 dahingehend zu ändern, dass weitere Unterhaltszahlungen in Höhe von 15.000 DM jährlich als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) anerkannt werden.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es ist nach wie vor der Auffassung, dass die Erhöhung eines begrenzten Antrags zum Realsplitting nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt und verweist auf ein Urteil des BFH vom 22.09.1999 (XI R 121/96, BStBl II 2000, 218). Hiernach binde die Ausübung des Wahlrechts die am Realsplitting Beteiligten bereits vor der Unanfechtbarkeit des Steuerbescheids.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die Einkommensteuerbescheide für 1995 bis 1998 sind nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern, da die im Streitfall erfolgte nachträgliche Erweiterung des Antrags des Unterhaltleistenden auf Durchführung des Realsplittings mit Zustimmung der Unterhaltsempfängerin ein rückwirkendes Ereignis in Sinne von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO darstellt und § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG einer Erweiterung nicht entgegen steht.

I.

Nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

Nach dem Wortsinn und Zweck der Korrekturvorschrift erfasst der Begriff des „rückwirkenden Ereignisses” alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge - auch tatsächliche Vorgänge - ,die steuerlich in der Weise Rückwirkung entfalten, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zu Grunde zu legen ist. Bei laufend veranlagten Steuern, wie der ESt, sind die auf Grund neuer Ereignisse materiell- rechtlich erforderlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern erst in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn Vorschriften des materiellen Steuerrechts (ausnahmsweise) bestimmen, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand erheblichen Sachverhalts auch zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt (Beschluss des BFH vom 19.07.1993, GrS 2/93, BStBl II 1993, 897).

Das Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses wird bejaht, wenn nach Unanfechtbarkeit eines Einkommen...

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