Entscheidungsstichwort (Thema)

Versagung des Vorsteuerabzugs wegen fehlender Identität von leistendem Unternehmer und Rechnungsaussteller: Abgrenzung zwischen Festsetzungs- und Billigkeitsverfahren – Vertrauensschutz in Bezug auf Vertretungsmacht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist der Vorsteuerabzug wegen der fehlenden Identität von leistendem Unternehmer und Rechnungsaussteller zu versagen, kann dieser im Festsetzungsverfahren auch dann nicht gewährt werden, wenn der Leistungsempfänger hinsichtlich des Vorliegens dieser Merkmale gutgläubig war (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juli 2015 - V R 23/14 -, BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914).

2. Über die Gewährung des Vorsteuerabzugs unter Vertrauensschutzgesichtspunkten aufgrund der behaupteten Annahme des Leistungsempfängers, dass die die Warenverkäufe abwickelnde Person berechtigterweise im Namen der in den Rechnungen angegebenen Unternehmer gehandelt habe, kann nur im Verfahren der abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen entschieden werden.

 

Normenkette

UStG § 14 Abs. 4 Nr. 1, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; MwStSystRL Art. 178 Buchst. a, Art. 226 Nr. 5; AO § 163

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 15.07.2020; Aktenzeichen V B 9/19)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist in der Rechtsform einer GmbH mit dem Einzelhandel von Textilien unternehmerisch tätig.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage den Vorsteuerabzug aus Rechnungen diverser Firmen, der ihm vom Finanzamt mit der Begründung versagt wurde, die in den Rechnungen angegebenen Rechnungsaussteller hätten die hierin aufgeführten Lieferungen nicht erbracht.

Nach einer für die Jahre 2010 bis 2012 durchgeführten Betriebsprüfung versagte das beklagte Finanzamt den von der Klägerin für 2010 geltend gemachten und bereits in einem erklärungsgemäß ergangenen Umsatzsteuerjahresbescheid berücksichtigten Vorsteuerabzug in Höhe von insgesamt 20.345 € aus den Eingangsrechnungen der bestehenden Firmen Modegeschäft 1, O-Stadt , Inh.: B i.H.v. 4.991 €, Modegeschäft 2, Y-Stadt , …, Inh.: C i.H.v. 8.016 € und Modegeschäft 3 , X-Stadt , …, Inh.: E i.H.v. 7.338 € mit der Begründung, die Rechnungsaussteller hätten die in den Rechnungen abgerechneten Lieferungen von Kleidungsstücken nicht erbracht. Außerdem lägen alle Rechnungen lediglich in Kopie vor und entsprächen in allen Fällen nicht dem Schriftbild der von diesen Firmen üblicherweise verwendeten Rechnungen. Alle drei Firmen hätten bestritten, Geschäftskontakte zu der Klägerin bzw. deren Geschäftsführer Herrn A unterhalten zu haben. Auf die Feststellungen des Betriebsprüfers in seinem Prüfungsbericht vom 04.03.2016 zu den streitigen Rechnungen (siehe Tz. 2.3.1 bis 2.3.3) wird im folgenden Bezug genommen.

Die Klägerseite hat sich zu den zu Grunde liegenden Einkäufen wie folgt geäußert: Der Geschäftsführer der Klägerin Herr A habe in dem Z-Zentrum in Y-Stadt…, von einem…Herrn F (phonetisch) anlässlich verschiedener Besuche im Zeitraum 03.06. bis 22.07.2010 Textilien gegen Barzahlung erworben und diese jeweils gleich - alleine oder unter Mithilfe eines Mitarbeiters der Klägerin - mitgenommen. Hierfür habe ein Transportfahrzeug der Klägerin zur Verfügung gestanden. Herr F sei bei diesen Einkäufen jeweils alleiniger Ansprechpartner gewesen und habe der Klägerin Rechnungen unter dem Namen der oben genannten Firmen erteilt. Aus Sicht der Klägerin liege der Schluss nahe, dass der Verkäufer Herr F in dem Ladenlokal im Z-Zentrum in Y-Stadt Rechnungen fingiert und seine eigenen Waren dort unter dem Namen bestehender Firmen verkauft habe. Später habe das Ladenlokal des Herrn F leer gestanden.

Gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 27.10.2016 legte die Klägerin unter dem 30.11.2016 fristgemäß Einspruch ein, den das beklagte Finanzamt durch Einspruchsentscheidung vom 23.8.2017 als unbegründet zurückgewiesen hat. Über einen von der Klägerin ebenfalls am 30.11.2016 vorsorglich gestellten Antrag auf abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer 2010 aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung - AO - hat das Finanzamt noch nicht entschieden.

In den Gründen seiner Einspruchsentscheidung lehnt das beklagte Finanzamt den Vorsteuerabzug ab, weil die Klägerin diesen nicht durch die Vorlage ordnungsgemäßer Originalrechnungen nachgewiesen habe. Das von der Klägerin benannte Ladenlokal im Z-Zentrum in Y-Stadt sei weder von einem Herrn F , noch von einer der von der Klägerin als Rechnungsaussteller benannten drei Firmen angemietet worden.

Hiergegen richtet sich die fristgemäß am 19.09.2017 eingegangene Klage.

Die Klägerin trägt vor: Alle Lieferungen, die mit den hier streitigen Rechnungen abgerechnet worden seien, habe sie tatsächlich erhalten. Die Originalrechnungen habe sie an das Finanzamt O-Stadt übersandt, eine Rückgabe habe bisher nicht stattgefunden, hierfür sei jedoch nicht die Klägerin verantwortlich zu machen.

Es seien alle für den Vorsteuerabzug maßgebenden Voraussetzungen erfüllt. Es lägen für alle Verkäufe Rechnungen mit Rechnungsnummern und einem jeweiligen Rechnungsdatum vor, der Rechnungsempf...

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