Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Bindungswirkung eines Aufhebungsbescheides

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Für die Auslegung eines Bescheides nach Maßgabe des objektiven Verständnishorizonts des Empfängers ist neben dem Tenor auf den materiellen Regelungsgehalt einschließlich der Begründung des Bescheides abzustellen.
  2. Wird ein im Jahr 2002 ergangener Bescheid, mit dem die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom 01.01.2000 aufgehoben wird, damit begründet, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag im Kalenderjahr 2000 übersteigen, kann der Adressat den Bescheid dahin gehend verstehen, dass die Behörde die Kindergeldfestsetzung ausschließlich für das Jahr 2000 aufheben will.
  3. Eine Bindungswirkung des Aufhebungsbescheides bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe kann in diesem Fall nicht angenommen werden.
 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 70 Abs. 4; BGB §§ 133, 157

 

Streitjahr(e)

2001

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 26.11.2009; Aktenzeichen III R 93/07)

BFH (Urteil vom 26.11.2009; Aktenzeichen III R 93/07)

 

Tatbestand

Streitig ist das Bestehen eines Kindergeldanspruches für das Jahr 2001. Der Kläger ist der Vater des Sohnes Klaus-Dieter (geboren am 17.02.1980), der im Streitzeitraum eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolvierte.

Mit Schreiben vom 17.11.2001 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass der Jahresverdienst seines Sohnes Klaus-Dieter auf Grund einer Lohnerhöhung in 2000 etwas über dem Bemessungssatz liege. Gleiches gelte auch für 2001.

Im Bescheid vom 04.02.2002 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung für Klaus-Dieter ab dem 01.01.2000 gemäß § 70 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf. Zur Begründung stellte der Beklagte darauf ab, dass die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien, weil der Sohn Einkünfte und Bezüge von mehr als 13.500,00 DM im Kalenderjahr 2000 habe. Der Grenzbetrag der Einkünfte und Bezüge liege im Fall des Klägers bei 13.500,00 DM. Die Einkünfte und Bezüge des Sohnes betrügen 14.393,20 DM.

Mit Schreiben vom 15.10.2005 beantragte der Kläger unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11.01.2005 die Gewährung von Kindergeld für die Jahre 2000 und 2001. Aus den beigefügten Verdienstbescheinigungen ergebe sich, dass die maßgeblichen Grenzbeträge nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge nicht überschritten würden.

Im Bescheid vom 25.10.2005 lehnte der Beklagte eine Kindergeldfestsetzung ab. Zur Begründung der Ablehnung verwies er auf die Bestandskraft des Bescheides vom 04.02.2002, dessen Bindungswirkung bis einschließlich des Monats seiner Bekanntgabe reiche. Die Festsetzung könne für den Zeitraum vom 01.01.2000 bis 28.02.2002 weder nach den Bestimmungen der Abgabenordnung (AO) noch des EStG aufgehoben oder korrigiert werden.

In der nach fristgerechter Einspruchseinlegung ergangenen Einspruchsentscheidung vom 10.01.2006 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit seiner am 26.01.2006 erhobenen Klage beantragt der Kläger sinngemäß,

den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 25.10.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.01.2006 zu verpflichten, für das Kind Klaus-Dieter Kindergeld für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Er bezieht sich auf die Gründe der ablehnenden Verwaltungsentscheidungen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Dem Kläger steht für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.20001 ein Kindergeldanspruch für den Sohn Klaus-Dieter zu.

Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch sind erfüllt. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein in Ausbildung befindliches und über 18 Jahre altes Kind nur dann, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Ausbildung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als 14.040 DM im Kalenderjahr 2001 hat. Der genannte Grenzbetrag wird – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – nach Abzug der gesetzlichen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht überschritten. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist nach dem Beschluss des BVerfG vom 11.01.2005 2 BvR 167/02 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2005, Beilage 3, 260) fassungskonform so auszulegen, dass nicht nur Bezüge, sondern auch Einkünfte des Kindes nur dann in den Jahresgrenzbetrag der Vorschrift einfließen, wenn sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind. Die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge sind nicht zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt, da sie von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken.

Entgegen der Auffassung...

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