Entscheidungsstichwort (Thema)

Schätzungsbefugnis bei formellen Aufzeichnungsmängeln, Verpflichtung zur Einzelaufzeichnung bei Gewinnermittlung durch EÜR, Aufbewahrungspflicht gespeicherter Daten eines PC-Kassensystems

 

Leitsatz (redaktionell)

Für den Betreiber eines Lebensmitteleinzelhandels, der seinen Gewinn mittels Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, bestand – jedenfalls nach der Rechtslage in den Jahren 2016 bis 2019 - auch dann keine Verpflichtung zur Einzelaufzeichnung seiner Barumsätze sowie der Aufbewahrung dieser Ursprungsaufzeichnungen, wenn er ein modernes PC-Kassensystem verwendet, das sämtliche Kassenvorgänge einzeln und detailliert aufzeichnet und deren langfristige Speicherung ermöglicht (entgegen BMF-Schreiben vom 26.11.2010, BStBl I 2010, 1342, und Beschluss des FG Hamburg vom 16.1.2018 - 2 V 304/17).

 

Normenkette

AO § 146 Abs. 1 Sätze 3-4, §§ 146a, 147 Abs. 1, 6, §§ 158, 162 Abs. 2 S. 2; EGAO Art. 97 § 30 Abs. 1 S. 1; UStG § 22 Abs. 2 Nr. 1; EStG § 4 Abs. 3; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1

 

Tatbestand

Der Antragsteller (Ast) betrieb seit dem 0.0.2016 in V. einen Lebensmitteleinzelhandel (Supermarkt) unter dem Namen „M.“. Den Betrieb hatte er zu diesem Zeitpunkt von Frau P. übernommen. Seinen Gewinn ermittelte der Ast in den Streitjahren 2016 bis 2019 durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung (EÜR) nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Umsatzsteuerlich erzielte er sowohl Umsätze zum Regelsteuersatz von 19% als auch zum ermäßigten Steuersatz von 7%. Die Tageseinnahmen wurden in Form von manuellen Berichten aufgezeichnet, in die u.a. auch die Erlöse einer Geschäftskasse einflossen. Die manuellen Berichte dienten als Grundlage für die Erstellung der EÜR durch den damit beauftragten Steuerberater.

Mit Prüfungsanordnung vom 14.12.2020 ordnete der Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) eine Betriebsprüfung (BP) beim Ast an, die zunächst die Einkommensteuer (ESt), Umsatzsteuer (USt) und den Gewerbesteuer-Messbetrag (GewSt-MB) für die Veranlagungszeiträume 2016 bis 2018 umfasste. Mit einer weiteren Prüfungsanordnung vom 26.1.2022 wurde der Prüfungszeitraum auf das Streitjahr 2019 sowie der Prüfungsgegenstand auf die Feststellung der vortragsfähigen Gewerbeverluste nach § 10a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) und die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur ESt nach § 10d EStG für die Zeiträume 31.12.2016 bis 31.12.2019 erweitert. Darüber hinaus wurde am 25.1.2021 ein weiterer Prüfer als Fachprüfer eingeschaltet und mit der Prüfung des Datenzugriffs beauftragt.

Am 11.11.2021 führte das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung J. (Steufa) eine Durchsuchungsmaßnahme beim Ast durch. Dabei wurden u.a. Tagesabschlussberichte (TAB) einer PC-Kasse aus dem Mai 2016 und den Monaten Juni, Juli und Dezember 2019 aufgefunden. Auf den aus dem Juni 2019 stammenden TAB befand sich auf der Rückseite der Vermerk „Kasa 1“ sowie eine notierte Tageseinnahme, die nicht derjenigen entsprach, die auf der Vorderseite ausgewiesen war, sondern häufig (aber nicht immer) mit dem Betrag übereinstimmte, der als Kasseneinnahme in die manuellen Berichte Eingang gefunden hatte. Der Abgleich zwischen den in der Akte befindlichen TAB der ersten Kasse und den aufgefundenen Belegen der weiteren Kasse stellte sich wie folgt dar (in Klammern gesetzt sind abweichende Wertansätze des FA im BP-Bericht):

Tabelle 1

 Datum

 Bruttoerlös lt. TAB Kasse 1

 Vorderseite der am 11.11.21 aufgefundenen Belege

 Handschr. Notiz auf der Vorder-/ Rückseite

 Summe (brutto)

 Mai 2016

 2.5.16

 262,03 (898,25)

 2.120,14

 2.382,17 (3.018,38)

 3.5.16

 637,02

 2.358,46

 2.995,48

 4.5.16

 829,73

 4.085,66

 4.915,39

 6.5.16

 1.928,60

 2.349,66

 4.278,26

 7.5.16

 2.416,46

 4.548,76

 6.965,22

 9.5.16

 838,81

 2.691,44

 3.530,25

 10.5.16

 361,15

 2.474,77

 2.835,92

 10.0.16

 1.114,47

 2.786,86

 3.901,33

 12.5.16

 744,22

 2.938,91

 3.683,13

 13.5.16

 1.350,92

 4.138,14

 5.489,06

 14.5.16

 2.296,57

 2.905,94

 5.202,51

 17.5.16

 665,82 (978,47)

 2.416,15

 3.081,97 (3.394,62)

 18.5.16

 312,65 (538,03)

 2.030,64

 2.343,29 (2.568,67)

 19.5.16

 538,03 (0,00)

 2.168,39

 2.706,42 (2.168,39)

 20.5.16

 742,98

 2.453,70

 3.196,68

 20.0.16

 1.132,48

 3.328,02

 4.460,50

 Zwischens.

 16.171,94

 45.795,64

 61.967,58

 Juni 2019

 5.6.19

 1.343,95

 817,23

 1.343,95

 2.161,18

 6.6.19

 7.890,72

 1.004,04

 Kasa I 1.331 €

 8.894,76

 7.6.19

 1.818,14

 894,41

 Kasa I 1.818,14

 2.712,55

 8.6.19

 3.850,82

 1.688,56

 Kasa I 3.850 €

 5.539,38

 11.6.19

 2.187,75

 702,70

 Kasa 1 2.187 € Q. 379 € Kasa 1

 2.890,45

 12.6.19

 0.080,56

 708,18

 Kasa 1 0.080, D. 1,72

 2.288,74

 13.6.19

 1.253,83

 984,10

 Kasa 1 1.253 € Kasa 2 200 € E.

 2.237,93

 14.6.19

 2.322,13

 1.105,59

 Kasa I 2.322 €

 3.427,72

 15.6.19

 3.203,84

 1.339,01

 Kasa 1 2.933 €

 4.542,85

 17.6.19

 1.493,96

 1.061,91

 Kasa 1 1.493 €

 2.555,87

 18.6.19

 0.041,82

 1.168,30

 0.041,82

 2.710,12

 19.6.19

 2.565,39

 1.432,74

 2.516,25

 3.998,13

 21.6.19

 2.516,25

 1.252,77

 Kasa I 1.249 €

 3.769,02

 24.6.19

 1.249,34

 88...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge