Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldabzweigung bei vollstationärer Unterbringung eines behinderten Kindes auf Kosten des Sozialhilfeträgers

 

Leitsatz (amtlich)

Übernimmt der Sozialhilfeträger die Kosten der vollstationären Unterbringung eines volljährigen behinderten Kindes, ist für die Frage, ob die Voraussetzung für eine Kindergeldabzweigung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 und 4 EStG vorliegen, allein darauf abzustellen, ob die unterhaltspflichtigen Eltern die zum Lebensbedarf ihres Kindes gehörenden laufenden Kosten für die Unterbringung in vollstationärer Pflege übernommen haben. Wird ausschließlich der sozialgesetzlich nach § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII (vormals § 91 Abs. 2 Satz 3 BSHG) geschuldeten Kostenbeitrag erbracht, kommt eine Abzweigung des Kindergelds in Betracht.

Bei der Ermessensentscheidung der Familienkasse, ob und in welcher Höhe das Kindergeld an den Sozialhilfeträger abgezweigt wird, ist auf den Umfang der Unterhaltsleistungen der Kindergeldberechtigten abzustellen. Dabei ist auch erbrachter Betreuungsunterhalt einzubeziehen.

 

Normenkette

EStG § 74 Abs. 1 Sätze 1, 4; SGB XII § 94 Abs. 2 S. 1; BSHG § 91 Abs. 2 S. 3; BGB § 1610 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 09.02.2009; Aktenzeichen III R 38/07)

BFH (Urteil vom 09.02.2009; Aktenzeichen III R 38/07)

 

Tatbestand

Der Kläger stellt seit Juli 2005 den Unterhalt des im Jahre 1981 geborenen und wegen Behinderung vollstationär bzw. seit Juni 2006 in einer therapeutischen Wohngemeinschaft untergebrachten Kindes A.... durch Gewährung von Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch - SGB - XII (vormals §§ 39 ff. Bundessozialhilfegesetz - BSHG -) sicher. Dessen Mutter, die Beigeladene, wurde seitdem zu einem Kostenbeitrag in Höhe von 46,00 € herangezogen. Der Kostenbeitrag wurde regelmäßig gezahlt. Das Kind ist in der Zeit vom 23. bis 26. Dezember 2006 und vom 14. bis 16. April 2006 im Rahmen von Urlauben von der Beigeladenen in deren Wohnung betreut worden. Sie besuchte ihr Kind im Jahre 2005 dreimal in der Einrichtung in R.. bei W.. und außerdem während des dortigen Klinikaufenthaltes zweimal. Es folgten ab Ende Juni 2006 drei weitere Besuche in der Wohngemeinschaft in S.. , zuletzt am 15. August 2006. Dabei handelte es sich sämtlich um Eintagesbesuche, für die Fahrtkosen (Benzinkosten) in Höhe von ca. 60,00 € bzw. nach S.. in Höhe von ca. 50,00 € entstanden, für die die Beigeladene keinen Kostenersatz erhielt. Außerdem versorgte die Beigeladene ihr Kind regelmäßig mit Kleidung, Sokken, Lebensmitteln, nacheinander zwei Handtelefonen nebst Guthaben sowie anderen Gebrauchsgegenständen. Den finanziellen Gesamtaufwand für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 30. April 2006, also ohne Berücksichtigung der danach entstandenen Aufwendungen der Beigeladenen, ermittelte der Beklagte mit 1.995,00 €.

Für das Kind wurde der Beigeladenen laufend Kindergeld bewilligt und auch ausgezahlt. Den vom Kläger gestellten Antrag vom 26. Juli 2005 auf Abzweigung des Kindergeldes ab August 2005 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. August 2005, bestätigt durch - als solche gemeinte - Einspruchsentscheidung vom 29. November 2005 mit der Begründung ab, eine Unterhaltspflichtverletzung liege nicht vor, weil die Beigeladene zu dem sozialgesetzlich geschuldeten Kostenbeitrag von 26,00 € herangezogen werde.

Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage macht der Kläger geltend, im Fall der Gewährung von Eingliederungshilfe sei stets davon auszugehen, dass der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkomme, selbst wenn er partielle Unterhaltsleistungen erbringe. Hiervon ausgehend habe der Beklagte sein Rechtsfolgeermessen nicht ausgeübt. Wie in Parallelfällen schriftsätzlich näher ausgeführt verkenne er auch, dass nur Unterhaltszahlungen, nicht jedoch Sach- und Betreuungsleistungen zur Beurteilung der Voraussetzungen einer Abzweigung heranzuziehen seien. Dies ergebe sich aus dem Kontext einschlägiger Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH - und des Bundesgerichtshofs - BGH - in Zivilsachen. Die Gewährung von Unterhalt durch Betreuung im Rahmen der Personensorge bzw. ein Naturalunterhalt komme grundsätzlich nur bei minderjährigen Kindern in Betracht. Bei einem volljährigen, auswärts lebenden Kind sei der Unterhalt gemäß § 1612 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - regelmäßig durch eine Geldrente zu leisten. Einem volljährigen Kind gewährte Unterkunft und Verpflegung sowie Betreuung hätten ebenso wie Geschenke, Telefonate, gemeinsam verbrachter Urlaub und Besuche in der Einrichtung freiwilligen Charakter.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10. August 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. November 2005 zu verpflichten, das Kindergeld für das Kind A.... ab August 2005 in Höhe von 108,00 € monatlich an den Kläger abzuzweigen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach seiner Auffassung müssen die als solche zu qualifizierenden Unterhaltsleistungen der Beigeladenen im Ergebnis zur Versagung der Abzweigung des...

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