Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestandskraft nationaler Steuerbescheide bei nachträglich festgestellter Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der zugrunde liegenden Vorschriften. Erfordernis der Begründung des Unterlassens eines Vorläufigkeitsvermerks

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein rechtswidriger belastender bestandskräftiger Steuerbescheid ist – auch unter Berücksichtigung von Art. 10 EG – nicht änderbar, wenn das nationale Recht hierfür keine Rechtsgrundlage vorsieht.

2. Bittet eine GmbH im Rahmen der Zustimmung zu einer tatsächlichen Verständigung, in der verdeckte Gewinnausschüttungen an die Muttergesellschaft durch geleistete Darlehenszinsen gem. § 8a KStG festgeschrieben werden, dass die auf der tatsächlichen Verständigung beruhenden Veranlagungen wegen möglicher Unvereinbarkeit des § 8a KStG mit dem Gemeinschaftsrecht offen gehalten werden, legt die GmbH jedoch gegen die nicht vorläufig ergehenden Körperschaftsteuerbescheide keinen Einspruch ein, besteht kein Anspruch auf Änderung der bestandskräftigen – nach der Entscheidung des EuGH über die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 8a KStG rechtswidrigen – Körperschaftsteuerbescheide.

3. Es besteht kein Anspruch darauf, dass das FA begründet, warum es von einer vorläufigen Steuerfestsetzung gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO abgesehen hat.

 

Normenkette

EG Art. 10; AO §§ 165, 121, 172ff.; KStG 1991 § 8a; EG Art. 43

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 15.06.2009; Aktenzeichen I B 230/08)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide für die Jahre 1995 und 1996.

Die Klägerin ist eine 100 %ige Tochtergesellschaft der B mit Sitz in …/Dänemark. Sie ist im Baugewerbe tätig und finanzierte ihre Geschäftstätigkeit u.a. durch Darlehen ihrer Muttergesellschaft.

Der Beklagte erließ in den Jahren 1998 und 1999 Bescheide über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und die Feststellungen nach § 47 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) für die Streitjahre, die teilweise durch Änderungsbescheide ersetzt wurden und alle unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen. Im Jahre 2000 führte der Beklagte bei der Klägerin eine Außenprüfung für die Jahre 1993 bis 1997 durch. Er vertrat danach die Ansicht, dass die von der Klägerin an ihre Muttergesellschaft geleisteten Darlehenszinsen gemäß § 8a KStG in der seinerzeit geltenden Fassung zu verdeckten Gewinnausschüttungen führten. In der Schlussbesprechung am 11. August 2000 einigten sich die Beteiligten darauf, dass u.a. hinsichtlich dieses Punktes eine tatsächliche Verständigung getroffen werden solle. Am 15. August 2000 übersandte der Beklagte der Klägerin den Entwurf einer tatsächlichen Verständigung, in der verdeckte Gewinnausschüttungen an die Muttergesellschaft in Höhe von DM 698 791 für 1995 und in Höhe von DM 816 974 festgeschrieben wurden. Die Klägerin unterzeichnete die tatsächliche Verständigung am 24. Oktober 2000. In einem Schreiben vom selben Tage an den Beklagten teilte sie diesem mit, dass ihre Zustimmung zu der tatsächlichen Verständigung ohne Beschränkung gelte, dass sie aber hinsichtlich der verdeckten Gewinnausschüttung im Rahmen der Gesellschafterfremdfinanzierung nach § 8a KStG im Hinblick auf die mögliche Unvereinbarkeit der Vorschrift mit Europarecht ihrem Rechtsschutzbedürfnis insoweit Rechnung tragen wolle, dass sie die Veranlagungen in diesem Punkt im Rechtsmittelverfahren offen halten werde, bis der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) darüber entschieden habe. Sie, die Klägerin, hoffe, dass der Beklagte dafür im Hinblick auf die sich mehrenden Literaturmeinungen zur Unvereinbarkeit des § 8a KStG mit dem EU-Recht Verständnis habe.

Am 21. August 2000, also zehn Tage nach der Schlussbesprechung hatte das Finanzgericht Münster dem EuGH gemäß Art. 234 EG-Vertrag (EGV) die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob § 8a KStG in der seinerzeit geltenden Fassung eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstelle. Am 01. März 2000 erging ein Schreiben der OFD Berlin, mit dem die Finanzämter angewiesen wurden, angesichts dieses Vorlagebeschlusses in anhängigen Verfahren die Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.

Am 27. April 2001 erließ der Beklagte geänderte Bescheide über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Feststellungen nach § 47 Abs. 2 KStG für 1995 und 1996, in denen er verdeckte Gewinnausschüttungen entsprechend der tatsächlichen Verständigung berücksichtigte. Die Festsetzungen waren nicht vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Die Bescheide wurden bestandskräftig.

Mit Urteil vom 12. Dezember 2002 entschied der EuGH auf den Vorlagebeschluss des FG Münster, dass § 8a KStG in der vorgelegten Fassung Art. 43 EGV verletzte.

Am 19. März 2003 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf dieses Urteil, die fehlende Begründung für das Unterlassen vorläufiger Festsetzungen in den geänderten Bescheiden vom 27. April 2001 nachzuholen sowie die Bescheide über Körpersc...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge