Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung neuer Tatsachen. ermäßigte Besteuerung einer Sozialabfindung auch bei nachträglicher Aufzahlung zum ursprünglich vereinbarten Betrag. Entschädigungszusatzleistung aus sozialer Fürsorge

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Entschädigungszahlungen sind ausnahmsweise auch dann ermäßigt zu besteuern, wenn neben der Hauptentschädigungsleistung in einem späteren Veranlagungszeitraum aus Gründen der sozialen Fürsorge Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden. Eine solche Zusatzleistung liegt vor, wenn nachträglich eine Aufzahlung in Höhe von rund 40 % der Hauptentschädigung zwecks Berücksichtigung der monetären Auswirkung des früheren Ausscheidens auf die Altersversorgung vereinbart wird.

2. Die zur Beurteilung der Frage der Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekanntgewordenen Tatsache zu erstellende Prognoseentscheidung ist unter Berücksichtigung der im zu beurteilenden Veranlagungszeitraum geltenden Rechtsprechung und bindenden Verwaltungsanweisungen zu treffen. Die tatsächliche spätere Handhabung des Finanzamts ist insoweit unbeachtlich; grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Finanzamt die richtige Entscheidung getroffen hätte.

 

Normenkette

EStG 1990 § 34 Abs. 1-2, § 24 Nr. 1 Buchst. a; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 21.01.2004; Aktenzeichen XI R 22/03)

BFH (Urteil vom 21.01.2004; Aktenzeichen XI R 22/03)

 

Tenor

1. Der geänderte Einkommensteuerbescheid für 1993 vom 22. Dezember 1998 und die bestätigende Einspruchsentscheidung vom 3. März 2000 werden aufgehoben.

2. Die Revision wird zugelassen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

5. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des mit Kostenfestsetzungsbeschluss angesetzten Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leisten.

 

Tatbestand

Streitig ist die Änderung des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr 1993 aufgrund erfolgter nachträglicher Aufzahlung zur ursprünglich vereinbarten Sozialabfindung.

Die Kläger wurden für das Streitjahr 1993 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger (geb. 28.07.1931) war als leitender Angestellter bei der Motorenwerke … AG (MWM) tätig. Durch Auflösungsvereinbarung vom 19.02.1993 wurde das Arbeitsverhältnis nach 40 Dienstjahren vor Erreichen der Regelaltersgrenze einvernehmlich zum 30.06.1993 beendet. Im Rahmen dieser Vereinbarung erhielt der Kläger (Kl.) eine Sozialabfindung in Höhe von DM 215.000,–.

In der am 06.06.1994 beim Beklagten (Bekl.) eingereichten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1993 war in der Anlage N, Zeile 14, „Entschädigungen, die ermäßigt zu besteuern sind”, ein Betrag in Höhe von DM 179.000,– ausgewiesen (DM 215.000,– abzüglich DM 36.000,– steuerfrei nach § 3 Nr. 9 EinkommensteuergesetzEStG –). Dieser Betrag stimmte mit der Lohnsteuerbescheinigung der MWM für das Jahr 1993 überein (Zeile 13, „ermäßigt besteuerte Entschädigungen”). Der Bruttoarbeitslohn bis 30.06.1993 betrug DM 171.820,66. Im Jahr 1992 betrug der Bruttoarbeitslohn des Kl. DM 242.401,–.

Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 06.09.1994 wurde die Sozialabfindung in der angegebenen Höhe antragsgemäß den außerordentlichen Einkünften zugeordnet und dem ermäßigten Steuersatz unterworfen. Eine nähere Überprüfung des Sachverhalts erfolgte nach dem Akteninhalt zunächst nicht; die zugrundeliegende Vereinbarung wurde erst im Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 02.12.1999 angefordert.

In der am 24.05.1995 eingereichten Einkommensteuererklärung für das Jahr 1994 war wiederum in der Anlage N, Zeile 12, „Entschädigungen, die ermäßigt zu besteuern sind”, ein Betrag in Höhe von DM 85.000,– ausgewiesen. Daneben bezog der Kl. ab 01.08.1994 eine Firmenrente in Höhe von insgesamt DM 38.252,93 sowie eine Altersrente ebenfalls ab 01.08.1994 in Höhe von insgesamt DM 15.500. Beigefügt war ein Schreiben der MWM vom 14.07.1994, wonach an den Kl. „wie … nach mehreren Gesprächen vereinbart” eine Aufzahlung zur Abfindung in Höhe von DM 85.000,– im Juli 1994 ausgezahlt werden sollte. In einem weiteren – im Einspruchsverfahren vorgelegten Schreiben – bestätigte die MWM gegenüber dem Kl., „dass die im Jahr 1994 zur Auszahlung gekommene Aufzahlung zur Abfindung in Höhe von DM 85.000,– nach mehreren Verhandlungsgesprächen erfolgte, da bei der ursprünglichen Festlegung versehentlich die monetäre Auswirkung des früheren Ausscheidens auf die Altersversorgung nicht berücksichtigt worden war”.

Im (bestandskräftigen) Einkommensteuerbescheid vom 22.06.1995 für 1994 unterwarf der Beklagte die Zahlung im Rahmen der außerordentlichen Einkünfte dem ermäßigten Steuersatz.

Mit nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geändertem Einkommensteuerbescheid für 1993 vom 22.12.1998 unterwarf der Bekl. die Sozialabfindung in Höhe von DM 179.000,– nunmehr d...

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