Leitsatz

Kosten für Fahrten eines erwerbslosen Steuerpflichtigen im Rahmen eines Teilzeitstudiums sind nicht durch die Entfernungspauschale begrenzt.

 

Sachverhalt

Streitig war, ob die Fernuniversität in Hagen die erste Tätigkeitsstätte des Steuerpflichtigen im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG ist. Die Fernuniversität in Hagen ist eine Bildungseinrichtung, die der Steuerpflichtige, da er arbeitslos war und somit in keinem Dienstverhältnis stand, außerhalb eines Dienstverhältnisses aufsuchte. Konkret ging es um die Frage, ob die Bildungseinrichtung "zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme" aufgesucht wurde. Die Finanzverwaltung nimmt dies (so auch im Streitfall) an, wenn der Steuerpflichtige im Rahmen des Studiums oder im Rahmen der Bildungsmaßnahme für einen Beruf ausgebildet wird und daneben entweder keiner Erwerbstätigkeit nachgeht oder während der gesamten Dauer des Studiums oder der Bildungsmaßnahme eine Erwerbstätigkeit mit durchschnittlich bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit oder in Form eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne von § 8 SGB IV und § 8a SGB IV ausübt (BMF, Schreiben v. 25.11.2020, IV C 5 – S 2353/19/10011 :006, BStBl 2020 I S. 1228, Tz. 34). Entsprechend berücksichtigte es die Fahrtkosten nur in Höhe der Entfernungspauschale.

 

Entscheidung

Dies sah das Finanzgericht jedoch anders und gab der eingelegten Klage statt. Denn der Steuerpflichtige ist an der Fernuniversität in Hagen ausdrücklich nur für ein Teilzeitstudium eingeschrieben, das nach der eigenen Beschreibung der Fernuniversität "in einem zeitlichen Umfang von etwa 20 Stunden wöchentlich" stattfindet. Er suchte die Fernuniversität daher gerade nicht für ein Vollzeitstudium auf, das dort "in einem zeitlichen Umfang von etwa 40 Stunden wöchentlich" ebenfalls angeboten wird. Der Wortlaut des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG verlangt für die Anwendung der Entfernungspauschale ein "Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme", die im Streitfall jedenfalls nach der eigenen Abgrenzung der Fernuniversität in Hagen nicht gegeben war.

Die steuerliche Berücksichtigung der Fahrtkosten des Steuerpflichtigen war daher nicht auf die Entfernungspauschale beschränkt. Das gilt unabhängig davon, ob er die Fahrten zu der Fernuniversität in Hagen selbst oder zu privaten Arbeitsgemeinschaften in Wohnungen von Kommilitoninnen und Kommilitonen getätigt hat. Bei Letzteren ist die Beschränkung auf die Entfernungspauschale schon deshalb nicht einschlägig, weil es sich nicht um eine Bildungseinrichtung handelt. Vielmehr können die von dem Steuerpflichtigen in tatsächlicher Höhe geltend gemachten Aufwendungen als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit angesetzt werden.

 

Hinweis

Das Verständnis des Bundesfinanzministeriums, wonach bei einem Studium oder einer Bildungsmaßnahme im Falle einer Erwerbslosigkeit stets ein Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme gegeben ist, lässt sich nach Auffassung des FG nicht aus § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG herleiten. Auch der Zweck der Vorschrift spricht gegen die Auffassung der Finanzverwaltung, wonach ein während einer Erwerbslosigkeit durchgeführtes Studium oder eine währenddessen ausgeübte Bildungsmaßnahme stets als Vollzeitmaßnahme angesehen werden muss. Gegen die Entscheidung wurde Revision eingelegt, Az beim BFH VI R 7/22.

 

Link zur Entscheidung

Niedersächsisches FG, Urteil vom 16.02.2022, 4 K 113/20

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