Leitsatz

Es verstößt nicht gegen das gemeinschaftsrechtlich geregelte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und den grundgesetzlich geregelten Gleichberechtigungsgrundsatz, dass der Erziehungsurlaub nach dem BErzGG nicht auf die Dauer der für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung nachzuweisenden berufspraktischen Tätigkeit angerechnet wird.

 

Normenkette

§ 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG

 

Sachverhalt

Die Klägerin beantragte eine verbindliche Auskunft darüber, wann sie zur Steuerberaterprüfung zugelassen werde. Sie begehrte dabei erfolglos die Berücksichtigung der Zeiten ihres Erziehungsurlaubs bei der Berechnung der vor Zulassung zur Steuerberaterprüfung notwendigen 10?jährigen berufspraktischen Tätigkeit.

 

Entscheidung

Der BFH hat das klageabweisende FG-Urteil bestätigt. Es liege weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Diskriminierung vor. Denn § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG verlange "allgemein" die Ausübung einer berufspraktischen Tätigkeit von bestimmter Dauer und diskriminiere deshalb nicht. Der Umstand, dass Grundwehrdienst und Zivildienst bis zu einem gewissen Umfang auf die Dauer der vor Zulassung zu einer beruflich weiterführenden Prüfung erforderlichen berufspraktischen Tätigkeit anzurechnen sind, während dies für den Erziehungsurlaub nicht vorgesehen ist, bedeute keine mittelbare Diskriminierung von Frauen; denn Grundwehrdienst bzw. Zivildienst abzuleisten, bestehe gesetzlicher Zwang, während die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub von der Entscheidung und den persönlichen Umständen der Eltern abhänge.

 

Hinweis

1.§ 36 StBerG verlangt als Voraussetzung für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung, dass der Prüfling eine bestimmte Zeit einer berufspraktischen Tätigkeit auf steuerlichem Gebiet nachweist. Die erforderliche berufspraktische Tätigkeit betrug bis zum In-Kraft-Treten des 7. StBerÄndG, das die betreffenden Zeiträume verkürzt hat, bei Bewerbern aus Ausbildungsberufen (ohne Hochschulabschluss), also in den Fällen des § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG, die beträchtliche Zeit von 10 Jahren. Grund für diese Regelung ist wohl, angesichts der im Einzelnen sehr unterschiedlichen Ausbildungsqualifikation der Bewerber sicherzustellen, dass deren Eignung für den angestrebten Beruf des Steuerberaters aufgrund einer intensiven praktischen Berufserfahrung als gegeben angesehen werden kann. Ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wird, kann freilich unter anderem deshalb zweifelhaft erscheinen, weil die zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen ausreichenden beruflichen Tätigkeiten ihrerseits nicht ohne weiteres eine (Weiter-)Qualifizierung des Bewerbers verbürgen. Zudem ist die Regelung, jedenfalls soweit sie ganze 10 Jahre Berufstätigkeit verlangt, nicht ganz von dem Verdacht frei, verdeckten Konkurrenzschutz zugunsten der zugelassenen Berufsangehörigen zu gewähren.

2. Das Gemeinschaftsrecht (sog. Gleichbehandlungs-Richtlinie 76/207/EWG) verbietet nicht nur offene (an das Geschlecht anknüpfende) Diskriminierung, sondern auch Maßnahmen und Regelungen, die scheinbar geschlechtsneutral sind, indes deshalb diskriminierende Wirkung gegenüber einem Geschlecht (meistens dem der Frauen) haben, weil sie dieses tatsächlich stärker belastend treffen als das andere Geschlecht und weil diese ungleiche Belastung durch hinreichend gewichtige sachliche ("objektive") Gründe nicht zu rechtfertigen ist (sog. mittelbare Diskriminierung). In der Verlängerung der erforderlichen Zeit beruflicher Vortätigkeit bei Teilzeitbeschäftigung (§ 36 Abs. 3 Satz 3 StBerG) hat der EuGH eine solche mittelbar Frauen diskriminierende Regelung gesehen; denn Teilzeitbeschäftigung wird ganz überwiegend von Frauen gewählt.

Erziehungsurlaub wird ebenfalls ganz überwiegend von Frauen in Anspruch genommen. Gleichwohl meint der VII. Senat des BFH, es diskriminiere Frauen nicht mittelbar, dass Zeiten des Erziehungsurlaubs die erforderliche Vortätigkeitszeit verlängern. Denn die dafür verantwortliche Regelung treffe nicht überwiegend Frauen.

Diese Aussage wird Ihnen wahrscheinlich nicht verständlich sein. Sie wird in der Tat erst nachvollziehbar, wenn man den Begründungszusammenhang des BFH-Urteils sehr genau analysiert. Der BFH führt nämlich aus, § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG diskriminiere deshalb nicht, weil er allgemein gilt. Er verlange "allgemein" die Ausübung einer berufspraktischen Tätigkeit von bestimmter Dauer, will wohl sagen: nicht nur von Männern ebenso wie von Frauen (was für mittelbare Diskriminierung gerade typisch wäre), sondern von durch Krankheit zeitweise an der Berufsausübung Gehinderten ebenso wie von Gesunden, von Arbeitslosen wie von denen, die eine Betätigung auf steuerlichem Gebiet hätten finden können usw.

3. Verfassungsrechtliche Ge- und Verbote können nicht nur durch positives Tun, sondern auch durch Unterlassen verletzt werden. Das ist eine Binsenweisheit. Auf den Entscheidungsfall angewandt bedeutet sie, dass § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG nur dann vor dem gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot bestehen kann, wenn hinreichende objektive Gründe...

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