Leitsatz

1. Sind die einschlägigen Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, insbesondere deren Artikel 50, dahin auszulegen, dass eine von der Zollbehörde einer Person zur vorübergehenden Verwahrung an einem zugelassenen Ort überlassene Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird, wenn sie zu einem externen Versandverfahren zwar angemeldet wird, jedoch die ausgestellten Versandpapiere auf dem geplanten Transport tatsächlich nicht begleitet und der Bestimmungszollstelle nicht gestellt wird?

2. Ist in einem solchen Fall die Person, die als zugelassener Versender die Waren in das Versandverfahren übergeführt hat, Zollschuldner gem. Art. 203 Abs. 3 Anstrich 1 ZK oder gem. Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4 ZK?

 

Normenkette

Art. 50, 91, 203, 236 Abs. 1 ZK

 

Sachverhalt

Ein Unternehmen übernahm als zugelassener Versender den Auftrag, am Flughafen Frankfurt/M. eingetroffene und von einem Lagerhalter übernommene, gestellte und summarisch angemeldete Waren im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren zu einem Empfänger in X zu befördern. Der Lagerhalter verfügte am Flughafen über ein Verwahrungslager, in das er die Ware – zwölf Fahrradträger – aufnahm. Nachdem dem Unternehmen dies angezeigt worden war, meldete es eine Sendung mit der Ware und vier weiteren Warenpositionen zum Versand an. Mit der Durchführung des Transports wurde eine Spedition beauftragt. Diese sollte die Sendung am folgenden Tag vom Verwahrungslager abholen und einem Empfänger in X anliefern. Letzterer stellte jedoch fest, dass die Fahrradträger in der Sendung nicht enthalten waren; sie waren im Verwahrungslager zurückgeblieben.

Als das HZA bei dem Unternehmen beanstandete, dass die Fahrradträger nicht der Bestimmungszollstelle gestellt worden seien, veranlasste dieses, dass die Fahrradträger wenige Tage später mit einer neuen Sendung im Versandverfahren zu dem Empfänger transportiert wurden. Dieser überführte sie in den freien Verkehr und wurde deswegen auf Einfuhrabgaben in Anspruch genommen (Zoll- und Einfuhrumsatzsteuer).

Auf den gleichen Abgabenbetrag wurde das vorgenannte Unternehmen vom HZA in Anspruch genommen, weil es die Ware durch Nichtgestellung bei der Bestimmungsstelle der zollamtlichen Überwachung entzogen habe. Der Abgabebescheid wurde bestandskräftig. Das Unternehmen begehrt jedoch die Erstattung der Abgaben gem. Art. 236 ZK. Gem. Art. 236 Abs. 1 UA 1, 1. Alt. ZK werden Einfuhrabgaben insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war. Diese Voraussetzungen waren laut FG im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Es wurde seitens des Unternehmens nicht nachgewiesen, dass die entrichteten Einfuhrabgabenbeträge (Zoll- und Einfuhrumsatzsteuer) nicht gesetzlich geschuldet waren (Hessisches FG, Urteil vom 29.11.2011, 7 K 1881/10, Haufe-Index 2990332).

 

Entscheidung

Der BFH hat nicht gewagt, zu entscheiden, ohne den EuGH zu befragen (siehe Leitsätze).

 

Hinweis

1. Wer ein Versandverfahren eröffnet, hat nach Art. 203 Abs. 3 ZK u.a. die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Waren zu der in der Versandanmeldung bezeichneten Zollstelle transportiert und dort gestellt werden.

2. Aber führt es auch zur Entstehung einer Zollschuld (bzw. der gleich zu behandelnden Einfuhrumsatzsteuerschuld, § 21 UStG), wenn diese Pflicht deshalb nicht erfüllt werden kann, weil die zum Versand angemeldeten Waren körperlich gar nicht "versandt" worden sind, d.h. nicht auf den Lkw verladen werden, sondern z.B. in einem Lager verbleiben, dessen Halter sie gem. Art. 50 ZK zur vorübergehenden Verwahrung überlassen worden sind?

Liest man Art. 50 ZK, könnte man das vielleicht denken. Art. 50 ZK besagt, dass gestellte Waren bis zum Erhalt einer zollrechtlichen Bestimmung "die Rechtsstellung von Waren in vorübergehender Verwahrung haben". Diese Rechtsstellung tritt automatisch mit der Gestellung ein und dient dazu, die zollamtliche Überwachung bis zum Erhalt einer zollrechtlichen Bestimmung sicherzustellen. Erhalten die Waren eine solche zollrechtliche Bestimmung, scheint die vorübergehende Verwahrung automatisch zu enden und die Ware nicht mehr unter Zollkontrolle zu stehen (obwohl sie sich tatsächlich nach wie vor im Lager und dessen Buchhaltung befindet). Überdies treffen ja die Pflichten aus Art. 50 ZK denjenigen, in dessen Besitz sich die Waren tatsächlich befinden, solange sie sich in seinem Besitz befinden (vgl. EuGH, Urteil vom 15.9.2005, C‐140/04, Slg. 2005, I-8245)!

3. Deshalb wird der unten geschilderte Fall genauso zu behandeln sein wie der vom EuGH bereits entschiedene Fall, dass versehentlich für ein und dieselbe tatsächlich versandte Ware zwei Versandanmeldungen abgegeben worden sind (EuGH, Urteil vom 15.7.2010, C-234/09, Slg.I-7333). Die zweite Versandanmeldung geht dann nach Ansicht des EUGH ins Leere und hat das Entstehen einer Zollschuld nicht zur Folge, obwohl dieses zweite Versandverfahren nicht ordnungsgemäß erledigt wird. Denn der Hauptverpflichtete...

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