Unter Entstrickung versteht man einen Sachverhalt, der zur Folge hat, dass stille Reserven eigentlich nicht mehr in Deutschland besteuert werden können. Früher hat der BFH in der Überführung von Einzelwirtschaftsgütern aus einer inländischen Betriebsstätte in eine ausländische Betriebsstätte stets eine gewinnverwirklichende Entnahme i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG gesehen (sog. Entnahmefiktion), wenn die ausländischen Betriebsstättengewinne aufgrund eines DBA von der Besteuerung im Inland freigestellt sind.

Daran hat der BFH in seiner jüngeren Rechtsprechung nicht mehr festgehalten. Er hat entschieden, die Überführung eines einzelnen Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte rechtfertige nicht die Besteuerung der stillen Reserven im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts.[1] Damit war die Theorie der finalen Entnahme aufgegeben worden.

Später erweiterte der BFH[2] seine Auffassung auf die Fälle, in denen die sog. Theorie der finalen Betriebsaufgabe anzuwenden war. Danach musste ein Unternehmer, der seinen bisher im Inland ansässigen Betrieb vollständig in einen ausländischen Staat verlegte und von dort aus fortführte, die im Betriebsvermögen angesammelten stillen Reserven, wie bei einer tatsächlichen Betriebsaufgabe gem. § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG sofort aufdecken und versteuern (Totalentnahme im Inland).

Der Gesetzgeber hat die Theorie der finalen Entnahme bzw. der finalen Betriebsaufgabe durch die §§ 4 Abs. 1 Satz 3 bis 5, 16 Abs. 3a EStG zwischenzeitlich gesetzlich festgeschrieben. Die Anwendung der genannten BFH-Urteile ist auf die entschiedenen Einzelfälle beschränkt.[3]

Im Wege einer gesetzlichen Fiktion wird nach § 4 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 EStG die einkommensteuerliche Gefährdung des inländischen Besteuerungsrechts (z. B. durch DBA mit Freistellung oder kein DBA bzw. DBA mit Anrechnung) einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke gleichgestellt.[4] Einer Entnahmehandlung bedarf es nicht. Die "Entstrickung" erfolgt nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG zum gemeinen Wert, wodurch ein Widerspruch zur tatsächlichen Entnahme entsteht, die gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 1 EStG zum Teilwert erfolgt.[5] Als gemeiner Wert gilt der Wiederbeschaffungswert; als Teilwert gilt der Wert, den ein Erwerber des ganzen Unternehmens als Teilkaufpreis für das jeweilige Wirtschaftsgut aufbringen würde. Der Gewinn kann auf Antrag auf fünf Jahre verteilt werden.[6]

[4] Schmidt/Loschelder, EStG, 43. Aufl. 2024, § 4 Rn. 244.
[5] Carlé, KÖSDI 2007 S. 15401, Tz. 8.

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