Leitsatz

Die Einziehung einer Forderung, die von einem Dritten unter Nennwert entgeltlich erworben wurde, stellt keine "Veräußerung" i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG dar.

 

Normenkette

§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger war zu 40 % an einer KG und zu 100 % an der A-GmbH beteiligt. Im Juni 2008 erwarb der Kläger von der KG eine gegen die GmbH gerichtete Forderung zum halben Nennwert. Im Dezember 2008 glich die GmbH die Forderung durch Zahlung an den Kläger in nahezu voller Höhe aus. Das FA erfasste einen Veräußerungsgewinn. Das FG hat die Klage abgewiesen (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 14.3.2018, 3 K 407/16, Haufe-Index 11770909, EFG 2018, 1187).

 

Entscheidung

Die Revision des Klägers führte zur Stattgabe der Klage. Der Vorgang wird von § 23 EStG tatbestandlich nicht erfasst.

Im Hinblick darauf, dass derartige Fälle seit 2009 aber von § 20 Abs. 2 EStG erfasst werden könnten, hat die Entscheidung aktuell vor allem heuristischen Wert. Sie trägt entscheidend dazu bei, wie der Veräußerungsbegriff in § 23 EStG zu verstehen ist. Will der Gesetzgeber in Zukunft "Besteuerungslücken" bei § 23 EStG vermeiden, wird er irgendwann nachbessern müssen.

 

Hinweis

1. Der Streitfall betrifft die Rechtslage vor Einführung der Abgeltungsteuer (Streitjahr 2008). Ob die Einziehung einer unter Wert erworbenen Forderung zum Nennwert den Tatbestand des § 20 Abs. 2 EStG (seit 2009) erfüllt, ist weder Gegenstand der Entscheidung noch dieser Besprechung.

2. Die Rechtslage galt durch ein Urteil des BFH aus den frühen 1960er Jahren als im Sinne des FA geklärt. Der BFH hatte damals entschieden, die Einziehung einer Forderung stehe der Veräußerung der Forderung wirtschaftlich gleich. Dies genügte dem BFH 1961, um den Tatbestand eines Veräußerungsgeschäfts zu bejahen.

3. Durch neuere Rechtsprechung des BFH (insbesondere BFH, Urteil vom 10.11.2015, IX R 3/15, BFH/NV 2016, 641, BFH/PR 2016, 143, BStBl II 2016, 351) war diese ältere Rechtsprechung zweifelhaft geworden. Der BFH hat in jüngerer Zeit betont, dass der Veräußerungsbegriff in § 23 EStG nicht allein mit wirtschaftlichen Erwägungen erweiternd ausgelegt werden darf. Eine Veräußerung setzt nach ständiger Rechtsprechung die entgeltliche Übertragung eines bestehenden Wirtschaftsguts auf einen Dritten voraus. Vorgänge, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, unterfallen ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht § 23 EStG. Das ergibt sich auch daraus, dass der Gesetzgeber in § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG (2009) entsprechende Veräußerungsfiktionen ausdrücklich geregelt hat. Ein solches Vorgehen wäre auch bei § 23 EStG erforderlich, wenn wirtschaftliche Realisationsvorgänge erfasst werden sollen, bei denen es z.B. an einem entgeltlichen Rechtsträgerwechsel fehlt.

4. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das Senatsurteil vom 23.7.2019 (BFH, Urteil vom 23.7.2019, IX R 28/18, BFH/NV 2019, 1285, BFH/PR 2019, 322, BStBl II 2019, 701), wonach eine Enteignung nicht den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts (den Begriff der Veräußerung) erfüllt, denn eine Veräußerung setzt neben den objektiven Voraussetzungen (entgeltliche Übertragung auf einen Dritten) auch eine willentliche Betätigung des Übertragenden voraus.

5. In Fortführung dieser Linie hat der BFH nun entschieden, dass die Einziehung einer unter Wert erworbenen Geldforderung zum Nennwert keine "Veräußerung" ist. Es fehlt an einem Rechtsträgerwechsel und u.U. auch an einer willentlichen Betätigung des Forderungsinhabers. Der Schuldner kann die Leistungshandlung auch ohne Zutun des Gläubigers (Annahme) durch Hinterlegung bewirken.

6. Abgrenzung: Für die Erfüllung eines Sachlieferungsanspruchs (Gold) hat der Senat entschieden, dass es insoweit (auch) an einem entgeltlichen Vorgang mangele, weil der Erwerber nicht mehr erhalte, als seinem Anspruch entsprach (BFH, Urteil vom 6.2.2018, IX R 33/17, BFH/NV 2018, 574, BFH/PR 2018, 131, BStBl II 2018, 525). In jenem Urteil hatte der Senat ausdrücklich offengelassen, ob er an der älteren Rechtsprechung zur Einziehung einer Geldforderung festhalten könnte. Anders als bei der Erfüllung eines Sachlieferungsanspruchs kann bei der Erfüllung eines Geldanspruchs – wie der Streitfall zeigt – ein Realisationsvorgang vorliegen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 3.9.2019 – IX R 12/18

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge