Leitsatz

1. Die auf der Grundlage des § 93 Abs. 3 EStG förderunschädlich ausgezahlte Kapitalabfindung einer Kleinbetragsrente ist nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vollem Umfang einkommensteuerpflichtig.

2. Die Anwendung des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG auf Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen setzt nicht voraus, dass der Vertrag im Zeitpunkt der Auszahlung der Leistung noch zertifiziert ist. Es genügt in diesem Zusammenhang vielmehr, wenn für den einzelnen zuvor geleisteten Beitrag die Voraussetzungen des § 10a oder des Abschn. XI des EStG – zu denen auch die Zertifizierung gehört – vorgelegen haben.

3. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Kapitalabfindungen von Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen kann in der Zeit vor dem Inkrafttreten des § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG nicht allein mit der Begründung bejaht werden, der ursprüngliche Altersvorsorgevertrag habe eine solche Kapitalisierungsmöglichkeit nicht vorgesehen.

4. Auch wenn der Spruchkörper, der die Revision zugelassen hat, nur in Bezug auf eine bestimmte Rechtsfrage einen durchgreifenden Revisionszulassungsgrund gesehen hat, kann der Revisionskläger in seiner Revisionsbegründung – im Rahmen des von ihm bereits vor dem FG gestellten Antrags – bei einem unteilbaren Streitgegenstand weitere Rechtsfragen zur Prüfung des Revisionsgerichts stellen.

 

Normenkette

§ 22 Nr. 5 Sätze 1 und 13, § 34 Abs. 2 Nr. 4, § 93 Abs. 3 EStG, § 115 Abs. 2 FGO, § 14 Abs. 1 Satz 2 AltZertG

 

Sachverhalt

Die Klägerin schloss 2003 einen zertifizierten Altersvorsorgevertrag ab, der vorsah, dass die Auszahlung ausschließlich in Form einer lebenslangen monatlichen Leibrente oder eines Auszahlungsplans mit monatlichen Teilraten und anschließender lebenslanger Teilkapitalverrentung möglich sein sollte. 2014 vereinbarte die – zu diesem Zeitpunkt 64jährige – Klägerin mit dem Anbieter die Auszahlung des vorhandenen Altersvorsorgeguthabens angesichts der geringen Höhe der sich ergebenden laufenden Leistungen zu Beginn des Jahres 2015 in Form einer Einmalleistung. Dass die Kapitalabfindung einer Kleinbetragsrente zu Beginn der Auszahlungsphase als unschädliche Verwendung angesehen wird, beruht auf § 93 Abs. 3 EStG, der durch das AltEinkG geschaffen wurde.

Das FA besteuerte die Kapitalabfindung als "Leistung aus einem Altersvorsorgevertrag" gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vollem Umfang, soweit diese auf geförderten Beiträgen beruhte. Die Klägerin war der Auffassung, § 22 Nr. 5 EStG sehe für die Fälle des § 93 Abs. 3 EStG keinen Besteuerungstatbestand vor. Bei einer vollen Besteuerung dieser Abfindungen würde der in § 93 Abs. 3 EStG geregelte Fall einer unschädlichen Verwendung schlechter gestellt als die Fälle schädlicher Verwendung (§ 93 Abs. 1 EStG). Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (FG Köln, Urteil vom 4.7.2017, 5 K 3136/16, Haufe-Index 11526520, EFG 2018, 451).

 

Entscheidung

Die Revision führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Das FG hatte zwar die Einkommensteuerpflicht der Kapitalabfindung dem Grunde nach zutreffend bejaht. Es hatte aber die Vorschrift des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG übersehen und demzufolge keine tatsächlichen Feststellungen zu deren besonderen Voraussetzungen getroffen.

 

Hinweis

Die Kapitalabfindung einer Riesterrente, die auf Beiträgen beruht, die durch eine Altersvorsorge­zulage oder den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG gefördert worden sind, unterliegt gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vollem Umfang der Besteuerung.

1. Nach dieser Vorschrift unterliegen u.a. Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen der Besteuerung. Der Begriff "Altersvorsorgevertrag" wird in § 82 Abs. 1 Satz 1 EStG dahingehend definiert, dass es sich um einen Vertrag handeln muss, der nach § 5 AltZertG zertifiziert wurde.

2. Die Systematik der nachgelagerten Besteuerung fordert es, den Begriff des "Altersvorsorgevertrags" in § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG – insoweit abweichend von der Definition des § 82 Abs. 1 Satz 1 EStG – so zu verstehen, dass hierfür das Vorhandensein eines Altersvorsorgevertrags genügt, ohne zusätzlich vorauszusetzen, dass dieser auch noch im Zeitpunkt der Vornahme der Auszahlung zertifiziert sein muss.

3. Es kommt nicht auf die (aktuelle) Zertifizierung des Vertrags im Ganzen an, sondern vielmehr darauf, ob für den einzelnen zuvor geleisteten Beitrag die Voraussetzungen des § 10a oder des Abschn. XI des EStG – zu denen die Zertifizierung gehört – vorgelegen haben (vgl. § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG). Die einkommensteuerrechtliche Bedeutung der Zertifizierung beschränkt sich damit darauf, für Beiträge, die auf einen entsprechend zertifizierten Vertrag gezahlt werden, die Möglichkeit zur Gewährung der Altersvorsorgezulage sowie den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG zu eröffnen.

4. Diese Auslegung des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG entspricht sowohl der Systematik als auch dem Zweck der Norm. Diese setzt das System der "nachgelagerten Besteuerung", das seit 2005 auch der steuerlich geförderten freiwilligen privaten Altersvorsorge zugrunde liegt, in positives Recht ...

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