Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Zweitwohnungsteuer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Zweitwohnungssteuer kann als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2a GG erhoben werden.

2. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Zweitwohnungssteuer für eine Ferienwohnung eines am selben Ort lebenden Wohnungseigentümers erhoben wird, soweit das Wohnungseigentum nicht eine reine Kapitalanlage darstellt, sondern dem persönlichen Lebensbedarf des Eigentümers dient. Unverhältnismäßig im engeren Sinne ist jedoch die Auferlegung der Steuer ohne nähere Prüfung der Frage, ob die Zweitwohnung tatsächlich dem persönlichen Lebensbedarf des Wohnungsinhabers dient.3. Bei einer in einem Feriengebiet liegenden Wohnung kann auch bei typisierender Betrachtung nicht schon aus dem Umstand, daß es nicht gelungen ist, die Wohnung ganzjährig zu vermieten, gefolgert werden, sie diene der persönlichen Lebensführung. (Leitsätze nicht amtlich)

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2a

 

Beteiligte

Rechtsanwälte Dr. Curt-Bruno Voelker und Partner

 

Verfahrensgang

VG Schleswig-Holstein (Urteil vom 08.09.1994; Aktenzeichen 6 A 122/94)

Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 30.08.1994; Aktenzeichen 2 L 125/94)

VG Schleswig-Holstein (Gerichtsbescheid vom 07.06.1994; Aktenzeichen 6 A 390/93)

 

Tenor

1. Der Bescheid des Amts Amrum über die Veranlagung zur Zweitwohnungssteuer 1993 vom 10. Juni 1993 – 160/18069 –, der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 7. Juni 1994 – 6 A 390/93 – und das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. August 1994 – 2 L 125/94 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht zur Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

Der Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. November 1994 – BVerwG 8 B 169.94 – ist gegenstandslos.

2. Der Zweitwohnungssteuerbescheid des Amts Föhr-Land vom 23. November 1993 – FA 5.29000 – und das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 8. September 1994 – 6 A 122/94 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht zur Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

Der Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. November 1994 – 2 L 200/94 – ist gegenstandslos.

3. Das Land Schleswig-Holstein hat den Beschwerdeführerinnen die notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerinnen wenden sich gegen ihre Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer.

I.

Die Gemeinde Wittdün auf der Insel Amrum und die Gemeinde Nieblum auf der Insel Föhr erheben Zweitwohnungssteuern. Ihre insoweit gleichlautenden Satzungen bestimmen:

§ 2

Steuergegenstand

(1) Gegenstand der Steuer ist das Innehaben einer Zweitwohnung im Gemeindegebiet.

(2) Eine Zweitwohnung ist jede Wohnung, die jemand neben seiner Hauptwohnung für seinen persönlichen Lebensbedarf oder den persönlichen Lebensbedarf seiner Familienmitglieder innehat. Eine Wohnung verliert die Eigenschaft einer Zweitwohnung nicht dadurch, daß ihr Inhaber sie zeitweilig zu anderen als den vorgenannten Zwecken nutzt.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Beschwerdeführerin zu 1) ist Eigentümerin einer Wohnung in der Gemeinde Wittdün auf der Insel Amrum. Sie selbst wohnt in der Gemeinde Nebel auf derselben Insel. Die Wohnung in Wittdün vermietet sie aufgrund einzelner Mietverträge an Feriengäste. Eine ganzjährige Vermietung gelang nach ihrem Vortrag im Jahre 1993 nicht. Das beklagte Amt zog die Beschwerdeführerin durch den angegriffenen Bescheid für das Jahr 1993 zur Zweitwohnungssteuer in Höhe von 1.478,10 DM heran.

2. Die Beschwerdeführerin zu 2) ist Eigentümerin eines Hauses mit zwei Wohnungen in Nieblum auf der Insel Föhr. Eine der Wohnungen nutzt sie als Hauptwohnung für sich und ihre Familie. Die andere Wohnung vermietet sie aufgrund einzelner Mietverträge an Feriengäste. Eine ganzjährige Vermietung gelang nach ihrem Vortrag im Jahre 1993 nicht. Das beklagte Amt zog die Beschwerdeführerin durch den angegriffenen Bescheid für das Jahr 1993 zur Zweitwohnungssteuer in Höhe von 619 DM heran.

3. Nach erfolglosen Widersprüchen erhoben die Beschwerdeführerinnen in den Ausgangsverfahren jeweils Klage, mit denen sie im wesentlichen geltend machten, sie hielten die Zweitwohnung als Kapitalanlage, nicht aber für die persönliche Lebensführung.

a) Das Verwaltungsgericht wies beide Klagen unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. NVwZ 1991, S. 909) mit im Kern derselben Begründung ab:

Die Beschwerdeführerinnen hätten die Wohnungen während des Erhebungszeitraums für den persönlichen Lebensbedarf vorgehalten. Sie vermieteten die Wohnungen offenbar selbst und hätten deshalb die Möglichkeit einer Eigennutzung zumindest in den Zeiten, in denen die Wohnungen nicht an Feriengäste vermietet seien. Ob sie oder ihre Angehörigen die Wohnungen tatsächlich selbst nutzten oder nutzen wollten, sei unerheblich. Keine Rolle spiele, ob eine Eigennutzung sinnvoll oder sinnlos sei. Aufgrund des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG sei es erforderlich, auch die einheimischen Zweitwohnungsinhaber zu der Steuer heranzuziehen.

b) Das Oberverwaltungsgericht wies die Berufung der Beschwerdeführerin zu 1) unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids und die Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zurück. Die von der Beschwerdeführerin zu 1) gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts eingelegte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht zurück.

III.

1. Die Beschwerdeführerinnen haben gegen die Steuerbescheide sowie gegen die erstinstanzlichen Gerichtsentscheidungen, die Beschwerdeführerin zu 1) hat auch gegen die Berufungsentscheidung Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie rügen eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und machen im Kern übereinstimmend geltend:

Ob eine Zweitwohnung für den persönlichen Lebensbedarf des Eigentümers oder als reine Kapitalanlage vorgehalten werde, grenzten die Gerichte allein danach ab, ob das Objekt aufgrund eines Dauermietvertrages lückenlos während des gesamten Steuerjahres vermietet gewesen sei. Dieses Kriterium sei untauglich bei Einheimischen. Für diese habe die Ferienwohnung keinen Erholungswert. Ihre Nutzung sei für sie objektiv sinnlos. Daß sie mit ihrer Ferienwohnung voll der Zweitwohnungssteuer unterworfen würden, weil sie sie saisonbedingt nicht das ganze Jahr über vermieten könnten, sei mit dem Sinn und Zweck der Zweitwohnungssteuer nicht vereinbar. Es müsse ausreichen, wenn sie den Nachweis erbrächten, daß sie die Wohnung ganzjährig zur Vermietung angeboten hätten.

2. Der Justizminister des Landes Schleswig-Holstein hat in beiden Verfahren von einer Stellungnahme abgesehen. Im Verfahren der Beschwerdeführerin zu 2) hat das beklagte Amt den angegriffenen Steuerbescheid verteidigt: Die Beschwerdeführerin habe die objektive Möglichkeit gehabt, die Zweitwohnung in der vermietungsfreien Zeit bei Besuchen durch Familienangehörige, Verwandte, Bekannte oder für Parties oder als Hobbyräume zu nutzen.

IV.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), dessen Verletzung die Beschwerdeführerinnen mit ihrem Vortrag der Sache nach (auch) gerügt haben, mögen sie dieses Grundrecht in ihren Verfassungsbeschwerden auch nicht ausdrücklich benannt haben.

Die Verfassungsbeschwerden sind offensichtlich begründet. Die für diese Beurteilung maßgebliche verfassungsrechtliche Frage hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. a) Eine Zweitwohnungssteuer kann als örtliche Aufwandsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2 a GG erhoben werden. Aufwandsteuern sind Steuern auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die in der Verwendung des Einkommens für den persönlichen Lebensbedarf zum Ausdruck kommt (BVerfGE 65, 325 ≪346≫). Das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ist ein Zustand, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln erfordert und in der Regel wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck bringt. Auf die Dauer des Innehabens kommt es grundsätzlich nicht an. Auch der vorübergehende Gebrauch stellt einen steuerpflichtigen Aufwand dar, wenn er der persönlichen Lebensführung dient (BVerfGE 65, 325 ≪348≫).

b) Die Auferlegung einer Steuer durch einen Steuerbescheid begründet eine Geldleistungspflicht und berührt damit die wirtschaftliche Betätigung als Ausfluß der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit (vgl. BVerfGE 78, 232 ≪244≫; 87, 153 ≪169≫). Die Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet ist allerdings nur in den Schranken des zweiten Halbsatzes des Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet (vgl. BVerfGE 25, 371 ≪407 f.≫; 50, 290 ≪366≫; 78, 232 ≪244≫). Die Pflicht zur Zahlung der Steuer verletzt dann nicht den durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Bereich, wenn dem Betroffenen ein angemessener Spielraum verbleibt, sich wirtschaftlich frei zu entfalten. Dieser Spielraum ist gegeben, soweit die Steuerbelastung verhältnismäßig ist (vgl. BVerfGE 91, 207 ≪221 f.≫ m.w.N.).

2. Mit diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben sind die angegriffenen Entscheidungen nicht vereinbar.

a) Verfassungsrechtlich ist allerdings die Auffassung nicht zu beanstanden, die Beschwerdeführerinnen dürften für ihre weiteren Wohnungen der Zweitwohnungssteuer unterworfen werden, soweit diese nicht eine reine Kapitalanlage darstellen, sondern dem persönlichen Lebensbedarf ihrer Eigentümerinnen dienen. Insoweit befinden sich die angegriffenen Entscheidungen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 65, 325 ≪348≫).

b) Unverhältnismäßig im engeren Sinne ist jedoch die Auferlegung der Steuer ohne nähere Prüfung der Frage, ob die Zweitwohnungen tatsächlich dem persönlichen Lebensbedarf der Beschwerdeführerinnen dienen.

Da es sich bei der Erhebung von Steuern um ein Massengeschäft handelt, sind allerdings grundsätzlich typisierende und generalisierende Regelungen zulässig. Die steuerlichen Vorteile der Typisierung müssen aber in einem angemessenen Verhältnis zu den mit ihr notwendig verbundenen Nachteilen stehen (vgl. BVerfGE 65, 325 ≪354 f.≫ m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall.

Es begegnet allerdings keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn einschlägige gesetzliche oder satzungsrechtliche Regelungen an das Innehaben einer Zweitwohnung in einem Feriengebiet zunächst die Vermutung knüpfen, daß die Wohnung der persönlichen Lebensführung dient. Das Anliegen der Verwaltungsvereinfachung rechtfertigt es aber nicht, durch eine unwiderlegliche Vermutung dem Wohnungseigentümer den Nachweis, daß er die Wohnung nicht für seine persönliche Lebensführung nutzt, schon dann abzuschneiden, wenn er nicht durchgängig für das ganze Jahr eine Vermietung nachweisen kann.

Eine solche Ausgestaltung oder Auslegung der einschlägigen Regelungen trifft diejenigen Wohnungseigentümer besonders hart, die in einem typischen Feriengebiet leben und eine Wohnung in dem von ihnen bewohnten Haus oder in dessen Nähe für die Vermietung an Feriengäste nutzen. In solchen Fällen kann auch bei typisierender Betrachtung nicht schon aus dem Umstand, daß es nicht gelungen ist, die Wohnung ganzjährig zu vermieten, gefolgert werden, sie diene der persönlichen Lebensführung. Es entspricht vielmehr der Erfahrung, daß in vielen Erholungsgebieten – insbesondere auch auf den hier in Rede stehenden Nordseeinseln – die Nachfrage saisonbedingt schwankt und daß der größere Teil der Ferienwohnungen nur zu bestimmten Jahreszeiten an Gäste vermietet werden kann, auch wenn sich das Urlaubsverhalten teilweise geändert hat. Andererseits spricht wenig dafür, daß der Eigentümer, der selbst im Feriengebiet wohnt, die Wohnung überhaupt und dies ausgerechnet zu den Zeiten, in denen er sie nicht an Gäste vermieten kann, für seine persönliche Lebensführung nutzt.

c) Wie die Gemeinden diesen Verfassungsverstoß vermeiden, ist ihnen nicht vorgegeben. Ob sie eine generalisierende oder eine Einzelfallregelung wählen, liegt allein in ihrer Einschätzungsprärogative. Nicht entschieden zu werden braucht, ob eine anteilige Berechnung nach der jeweiligen Vermietungsdauer den angemessenen Steuerschlüssel darstellt und die Zeit der ausgebliebenen Nutzung durch Feriengäste der persönlichen Lebensführung zugerechnet werden kann. Denn darauf haben die Steuerbescheide nicht abgestellt, sondern die Zweitwohnungen trotz überwiegender Vermietung einer ganzjährigen Steuerpflicht unterworfen, so als ob eine Vermietung nie in Rede gestanden hat.

d) Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

 

Unterschriften

Henschel, Seidl, Seibert

 

Fundstellen

Dokument-Index HI743204

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